Protest gegen Braunkohleabbau: Drei Dörfer gegen Vattenfall

Die Dörfer Atterwasch, Grabko und Kerkwitz sollen Vattenfalls Braunkohleabbau weichen. Jetzt wehren sich die Bewohner mit einem Volksbegehren gegen die eigene Abschaffung.

Der Braunkohlebagger, der sich immer näher an ihre Dörfer heranarbeitet: Horrorvision der widerständischen Dörfer. Bild: dpa

Vattenfall will neben fünf bereits genehmigten Tagebauen mit 1,4 Milliarden Tonnen Braunkohle noch weitere Tagebaue erschließen, darunter den Tagebau Jänschwalde-Nord. Drei Dörfer müssten dort weichen. Gegen neue Tagebaue richtet sich ein Volksbegehren. Bis zum 9. Februar 2009 können sich

in Brandenburg wohnende Leute auf den Meldeämtern

in Listen eintragen, wenn sie das Volksbegehren unterstützten. Kommen 80.000 Unterschriften zusammen, wird es eine Volksabstimmung über die Braunkohlepolitik in Brandenburg geben.

Am Ende bleiben Pfarrer Berndt für seine bis auf den Kern geschälte Erkenntnis nur wenige Worte: "Wir brauchen eine Ethik des rechtzeitigen Aufhörenkönnens", sagt der gestandene Mann, den es kaum auf dem Sofa in seinem Amtszimmer im Pfarrhaus in Atterwasch, einem Dorf in der Lausitz, hält.

In den Satz hat der 58-jährige Mann die Erfahrung eines Menschen gelegt, der seit 30 Jahren im Brandenburger Tagebaugebiet unweit der polnischen Grenze Seelsorge betreibt. Zu DDR-Zeiten schon. "Aufhören können, rechtzeitig, darauf müssen wir uns verständigen, das müssen wir lernen, das muss ein Wert sein", wiederholt er und macht eine Handbewegung zum Fenster hinaus. Dorthin, wo wenige Kilometer hinter den Bäumen der Braunkohletagebau seine Löcher in die Erde reißt. Und weiter noch weist Berndts ausgestreckte Hand. Sie zeigt auf die Folgen all dessen, was aus den Fugen geraten ist: Krieg, Finanzkrieg, alltägliche Gewalt, Raffgier, Sucht und "Zerstörung der Schöpfung.

Die Lausitz, wo Berndt lebt, ist eine bäuerliche Region, der die Industrie einen gewaltigen Stempel aufdrückt. Zu DDR-Zeiten war die Braunkohle von hier, was den Motor der Planwirtschaft befeuerte. Deshalb war die Lausitz wichtig. Deshalb hat man sie mit Baggern durchwühlt, von oben herab. Hier gab es einen Bodenschatz zu heben. Glück auf. Auch der schwedische Energiekonzern Vattenfall, dem der Tagebau seit 2001 gehört, sieht das so. Dass mitunter ein Dorf im Weg steht, das nennt man Schicksal. Seit 1924 wurden 136 Orte in der Lausitz zerstört - der letzte hieß Horno.

Nach der Wende hatte der ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), versprochen, dass Horno nicht abgebaggert würde. Als die Landesregierung 1997 doch entschied, es zu zerstören, versprach er, dass es das letzte Dorf sein würde, das der Braunkohle, dem klimaschädlichsten aller fossilen Brennstoffe, zum Opfer falle. Pfarrer Berndt klammert sich nicht an den Satz. Andere auch nicht. "Wer ist Stolpe?", fragt ein Mann, der die Dorfstraße entlangschlurft und dabei auf den Boden spuckt.

Knapp 250 Menschen leben in Atterwasch. Das Pfarrhaus, in dem Berndt wohnt, duckt sich im Schatten der bald 800 Jahre alten Backsteinkirche, die mit Barockaltar und Fotos aus dem zerstörten Horno verziert ist. Ein beschauliches Dorf ist es, in dem die Dahlien, Ringelblumen und Gladiolen noch im tiefen Herbst in den Gärten vor den verputzten Häusern blühen. Einen Krämerladen gibt es - keinen Supermarkt auf der Wiese, keine Reihenhaussiedlung. "Obwohl nach der Wende hier allerhand Leute aufschlugen und fragten, ob wir nicht ein Stück Bauland hätten", sagt Monika Schulz, die ehemalige Bürgermeisterin. Heute ist sie CDU-Abgeordnete im Landtag Brandenburgs.

Seit einem Jahr wissen die Leute in Atterwasch, aber auch in den Nachbardörfern Kerkwitz und Grabko, dass Stolpe gelogen hat. Die Ortschaften sind auf 267 Millionen Tonnen Braunkohle gebaut. Deshalb will Vattenfall, dass sie von der Landkarte verschwinden. Und mit ihnen 900 Menschen. Im Radio hörten sie es. "Können Sie sich das vorstellen?", fragt Jürgen Tränkle, ein Kerkwitzer. "Man ist gerade aufgestanden, da sagt der Nachrichtensprecher, dass wir wegsollen. Das reißt einem den Boden unter den Füßen fort."

Seit einem Jahr leben die Menschen in den Dörfern mit dem Schock. "Was das mit den Leuten macht", sagt Pfarrer Berndt und beendet den Satz nicht. "Vor allem die Alten, die schon mal vertrieben wurden, werden krank." Manche hören im Lärm der Bagger wieder das Echo von Panzern.

Berndt, Schulz und Tränkle wissen, dass sie mürbegemacht werden sollen durch die über die Medien lancierte Information. Dennoch, Widerstand formiert sich. "Wer verliert schon gern seine Heimat?", fragt Tränkle. Er gehört zur "Klinger Runde", einer Bürgerinitiative, die einen verträglichen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau fordert und bei den Kommunalwahlen im September auf Anhieb zwei Sitze im Kreistag bekam.

Naturschutzverbände, Klinger Runde, die Grünen und die Linkspartei haben zudem ein Volksbegehren in Brandenburg gegen neue Tagebaue eingeleitet. Zum Auftakt im Oktober trafen sich Kerwitzer, Grabkoer und Atterwascher vor dem Rathaus in Schenkendöbern, der Gemeinde, zu der die drei bedrohten Dörfer gehören. Arbeiter in karierten Hemden und braunen Jacken, Hausfrauen in violetten oder ockerfarbenen Anoraks stehen verloren vor der bescheidenen Freitreppe des Rathauses. "Das ist eine Enteignung", sagen die einen, "unsere Häuser sind jetzt schon nichts mehr wert, aber Vattenfall kauft nicht." Andere sagen. "Blühende Landschaften versprechen sie. Jetzt habe ich blühende Landschaften." Wieder andere sagen: "Wir kannten Horno. Der schöne Wald drum herum."

Vertreter von Vattenfall lassen es sich nicht nehmen, auch zu kommen. Helmut Franz, Betriebsratsvorsitzender, wirft seinen massigen Körper in jeden Satz, den er sagt. "Wer gegen Tagebau ist, ist gegen Arbeitsplätze." Und: "Der Strom muss in die Steckdose. Die erneuerbaren Energien reichen nicht." Er garantiert für diese Information: "Ich bin Ingenieur, ich kenne mich aus."

200 Leute kommen in den ersten zwei Stunden des Volksbegehrens zum Schenkendöberner Rathaus und lassen sich eintragen. Einigen, denen die DDR-Überwachung noch in den Knochen sitzt, fällt es nicht leicht, ihren Protest per Unterschrift zu bekunden. "Krieg ich jetzt einen Punkt?", fragen sie leise. Da mag es ein Trost sein, dass der Bürgermeister, Peter Jeschke, ein wortkarger Mann, auch unterschreibt: "Wenn die Dörfer kaputt gemacht werden, das wäre schon eine große Niederlage."

Vattenfall will abbaggern, und die Landesregierung hält am Braunkohletagebau fest. Nicht das Ob, nur das Wie des Endes der Dörfer wäre verhandelbar, habe Matthias Platzeck, der jetzige Ministerpräsiden Brandenburgs (SPD), bei einer Versammlung in Atterwasch verlauten lassen, berichtet Pfarrer Berndt. Platzecks Pressesprecher dementiert: "Er kann das gar nicht gesagt haben, weil er es gar nicht entscheiden kann." Die Planungsbehörden und Gerichte entschieden über den endgültigen Abbau, meint er, doch nicht die Politiker. "Dazwischen werden die Leute in den Dörfern zerrieben", sagt Pfarrer Berndt.

Tatsächlich weiß bisher niemand, was Vattenfall genau plant. "Vor 2020 jedenfalls rollen die Bagger nicht", meint Monika Schulz, die ehemalige Bürgermeisterin, die heute für die CDU im Landtag sitzt. "So lange in Unsicherheit zu leben, das ist brutal. Meinen Sie, wir werden in zehn Jahren noch mit Rollator an der Abbruchkante demonstrieren?", fragt die 53-Jährige. "Ich glaube angesichts der Klimadebatte nicht an die Notwendigkeit, die Menschen ihrer Heimat zu berauben." Sie ist die Einzige in ihrer Fraktion im Landtag, die so denkt.

Schulz hat sich schon durch einige Tiefen im Leben gekämpft. Kaum war sie als 28-Jährige nach Atterwasch gezogen, verunglückte ihr Mann. Sie stand da mit einem alten Haus und zwei Kindern. Wie im Wahn habe sie mit dem Hammer auf Wände geschlagen, genagelt, Holz gesägt. Bis sie zusammenbrach. Wenn sie für Atterwasch kämpft, dann auch in Erinnerung daran.

Eine wie Schulz hat gelernt, Optimistin zu sein. Sie glaubt, dass die 80.000 Unterschriften für das Volksbegehren zusammenkommen werden. Allerdings fürchtet sie, dass sich die Lausitzer dabei zurückhalten. Zu flächendeckend der Vattenfall-Tropf, an dem die Region hängt. Dort wird von Vattenfall mal ein Feuerwerk zum Stadtfest gesponsert, mal hier ein Kinderspielplatz saniert, mal dort ein Fußballverein unterstützt.

An der Bahnschranke in Kerkwitz wartet ein Mann mit Bartstoppeln im Gesicht darauf, dass der Zug durchfährt. Nein, er habe noch nicht fürs Volksbegehren unterschrieben. Er sei aus dem nahen Guben, deshalb gehe ihn das nichts an. Und außerdem: "Die kriegen doch alles bezahlt. Die Umgesiedelten aus Horno, die haben in ihren neuen Häusern Heizung im Boden."

"Neid, Neid - die Neiddebatte ist schrecklich", meint Kathrin Klinke, die in der Gegend aufgewachsen ist und nach Jahren in Berlin wieder zurückging. Sie wohnt in Groß Gastrose. Kommt der Tagebau, wird ihr Dorf einmal an der Abbruchkante stehen.

Im alten Volvo fährt sie durch Grabko, durch Kerwitz und dann weiter an den riesigen Schuttbergen und Löchern des Tagebaus vorbei. "Horno war da drüben", sagt sie und zeigt ins Leere. Danach macht sie sich auf zum Deulowitzer See. Langsam geht sie durch den Wald und den langen Strand entlang. Fliegenpilze drängen sich durch den Sand. "Wie kann man das alles zerstören?"

Dass diese Natur nichts sein soll, dass sechzig Jahre alte Bäume, 700 Jahre alte Dörfer nicht sein sollen, das will Klinke nicht in den Kopf. "Man kann es nicht ersetzen", sagt sie, auch wenn der SPD-Landrat Dieter Friese dies anders sieht. Er hat den Menschen aus den drei Dörfern geraten, goldene Türklinken einzubauen, weil Vattenfall alles bezahle. "So zynisch", meint Klinke. Allerdings beobachtet sie, dass mittlerweile tatsächlich viel gebaut wird in den Dörfern.

Und dann kursiert noch das Gerücht, dass Leute sich Bäume aus dem Wald holten und sie in den Garten pflanzten, weil Vattenfall angeblich für jeden Baum zahlt. Klinke zuckt mit den Schultern. Ein Gerücht eben. "Aber wenn ein Baum im Wald nichts wert ist, im Garten aber schon," sagt sie zögernd, "dann finde ich es toll, dass der Baum auf diesem Weg doch wieder wertvoll wird."

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