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Prolet-Comedy-Hop

■ Vierter „Heimatabend“ auf Kampnagel

Ironie, Zynismus, Selbstverarschung, das sind die kritisch-reflexiven Attribute einer Veranstaltung wie des Heimatabends. Seit nunmehr vier Jahren werden unter diesem Titel auf Kampnagel jeweils zum Jahresende rückblickend die gröbsten Erschütterungen in der politischen Landschaft BRD seismografisch verzeichnet. Bis zum Jahr 2000 soll das Familienleben des Eimsbüttler Taxifahrers Hugo (Ulrich Wildgruber) verfolgt werden. Dieser wollte in diesem Jahr mit Frau Edith (Brigitte Janner) und Sohn Klaus (Kai Maertens) Weihnachten auf Mallorca verbringen, als die Reisegesellschaft Pleite machte. Wieder zuhause, wird die Familie von Klaus' Ex-Freundin Jutta (Martina Gedeck) und deren Ex-Mann Fritz (Gerhard Garbers) überrascht. Eine Verwicklung beginnt, die dazu führt, daß der ostdeutsche Fritz unter Stasi-Verdacht gerät (“Komando Rotkäppchen“), während Klaus sein gerade eröffneter Computer-Laden ausgeraubt wird.

Das von Horst Königstein und Ulrich Waller entworfene Proletenszenario findet schließlich doch noch sein Happy End unterm Weihnachsbaum - bis zum nächsten Jahr. Da das Publikum vom Ernst des Komischen ebenso weit entfernt schien wie die Autoren des Arbeiterschwanks, fielen auch einige Überzogenheiten nicht ins Gewicht. Vielleicht wurde doch auch die Angst belacht, wirklich einmal in Hugos oder Ediths Haut stecken zu müssen und sich diesen Spaß aus Distanz nicht mehr leisten zu können.

Etwas wurde der „Kampf gegen das Elend zum Gegenstand des Konsums gemacht“, zum Gegenstand „der Zerstreuung, des Amüsements, die sich unschwer dem großstädtischen Kabarett-Betrieb“ einfügt, ließe sich mit Benjamin sagen. Und genau das machten sich wiederum Matthias Beltz, Achim Konejung und Horst Schroth zum Thema, die den Heimatabend mit Talkshow-Einlagen umrahmten, die sich über die Realsatire vom „Heißen Stuhl“ und ähnlichem noch hinauswagten. Was als subversives musikalisches Begleitprogramm und Geheimtip angekündigt war, hätte fraglos einen eigenen Heimatabend verdient: deutschsprachiger Rap von MC Rene und DJ Mad, ein hartes Gemisch aus Freestyle und New-School, dem das Publikum erst mit verlegener Steifheit und dann mit ordentlichem Applaus antwortete. Vielleicht versucht man beim nächsten Heimatabend Lachen und Tanzen zusammenzubringen, zum Beispiel mit HipHop, zu dem Matthias Beltz sich einmal im Freestyle übt, während Wildgruber die Platten abmixt.

Roger Behrens

Aufzeichnung des Heimatabends: 30.12.93, 22.10 auf N3.

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