Projektleitung über lesbische WG: „Aussuchen, wer an deiner Seite ist“
Lesbische Frauen können in einer Berliner Wohngemeinschaft zusammen alt werden. Ein fortschrittliches Projekt, das queere Frauen schützt und fördert.
wochentaz: Frau Brambach, Frau Auf dem Berge, woraus ist die Idee Ihres Vereins für ein inklusives Wohnen und Leben für Lesben entstanden?
Jutta Brambach: Das ist jetzt wirklich schon sehr lange her. Der Verein RuT ist 1989 in Berlin-Neukölln entstanden. Wir haben damals den Besuchsdienst „Zeit für dich“ aufgebaut, der Frauen, die nicht mehr mobil oder anderweitig eingeschränkt waren, mit anderen Frauen zusammenbrachte. Die älteren Frauen sagten oft, wie toll es sei, dass sie so weiterhin eine Community hätten. Es kamen aber traditionell auch schon immer Frauen mit Behinderungen ins RuT, auch jüngere Frauen und andere, die sagten, sie wollen anders leben. Aus diesen Erfahrungen und Gesprächen und dem Wunsch, einen selbstbestimmten Ort zum Leben zu gestalten, ist die Idee entstanden. Mit vielen unterschiedlichen Ideen, offenen Runden, aus Überzeugung, eigener Initiative und vielen Frauen, die es ehrenamtlich unterstützt haben.
Wie geht es lesbischen Frauen im Alter?
Jutta Brambach: Die Biografie von lesbischen und queeren Frauen unterscheidet sich von schwulen Männern und Männern generell, aber auch von heterosexuell lebenden Paaren, gerade im Alter. Der Erfahrungshintergrund ist ein anderer, die Erlebnisse sind andere. Senioreneinrichtungen, die wir kennengelernt haben, sind sehr heteronormativ geprägt. Wenn ich dort bin, sind meine Geschichten über Liebeskummer, meine Erfahrungen, meine Treffpunkte, wie der CSD, oft kein Thema. Menschen, die das nicht kennen oder nachvollziehen können, tragen ungewollt dazu bei, dass ich im Alter unglaublich isoliert bin. Dabei wird der Wunsch, über die eigene Geschichte und die eigene Biografie zu reden, gerade im Alter spürbarer.
sind beim Verein Rad und Tat (RuT), einer Initiative lesbischer Frauen, für die Projektleitung für ein Lesbenwohnprojekt verantwortlich, das gerade in Berlin-Mitte entsteht. Anfang Januar wurde dafür der Grundstein gelegt, geplant sind 72 barrierearme Wohnungen zur Miete, eine Pflege-WG, ein Kulturzentrum sowie eine Vor-Ort-Beratung und -Begleitung für lesbische Frauen.
Sie haben für das nun entstehende Wohnprojekt das Alleinstellungsmerkmal einer feministischen, queersensiblen Pflegewohngemeinschaft entwickelt. Was bedeutet das in der Praxis?
Stefanie Auf dem Berge: Hier geht darum, dass pflegeempfangende Lesben und queere Frauen mit ihren spezifischen Biografien in einer Community zusammenleben können – als Wohngemeinschaft und zudem als Teil einer größeren Hausgemeinschaft mit Anbindung an das soziokulturelle Zentrum im Erdgeschoss. Der eingesetzte Pflegedienst wird Kenntnisse über die strukturelle Ungleichheit der Geschlechter und die Benachteiligungen von FLINTA*-Personen haben. Die Pflegepersonen wissen, dass Frauen teils Überlebende körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt sind. Sie kennen Schlüsselworte und Vorbilder der älteren Lesben-Generation und haben Grundlagenwissen über die spezifischen Geschichten von Frauen und Lesben.
Und wenn das Haus dann steht – wie sieht ein Alltag bei Ihnen aus?
Jutta Brambach: Ganz zentral ist der Gedanke, das Leben solidarisch zu gestalten. Gemeinschaftsräume zu haben, gemeinsam zu überlegen, wie wir unser Leben verbringen und gestalten wollen, was wir miteinander machen und auf den Weg bringen können. Wir wollen eine lebendige, queer lesbische Kultur schaffen, an der nicht nur Hausbewohnende, sondern auch die Nachbarschaft und die queere Community beteiligt sein kann.
Spielt die Wahlfamilie bei Ihnen im Konzept eine bedeutende Rolle?
Jutta Brambach: Im besten Fall sind die Menschen im Haus die Wahlfamilie. Es sind Menschen, mit denen ich zusammen Zeit verbringen möchte, die mich fördern, unterstützen, mit denen ich Austausch habe, ich Dinge gemeinsam tue. Konzepte des Lebens in solchen Gemeinschaften werden in der Wohnungsbauplanung alles andere als gefördert. Die gesamte Bauplanung ist entweder auf Kleinfamilie mit Kind oder auf Singlepaare ausgerichtet.
Stefanie Auf dem Berge: Ich musste jetzt neben der Wahlfamilie auch an den Begriff „Zugehörige“ denken, der in progressiven Pflegekontexten verwendet wird. Beide Ansätze zielen auf Ermächtigung, auf die Möglichkeit, sich selbst auszusuchen, wer an deiner Seite und für dich zuständig ist – auch im Alter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin