: Projekt unter Doppel-Beschuss
Luruper Jugendtreff weiter obdachlos. Jugendamt plant eine Verlagerung aus dem Viertel, SPD und GAL wollen die Gelder kürzen ■ Von Heike Dierbach
Das Gezerre um den Luruper Jugendtreff, der seit fast einem Jahr keine Räume hat (taz berichtete), geht weiter. In der heutigen Sitzung des Jugendhilfeausschusses Altona gerät das Projekt gleich von zwei Seiten unter Beschuss: SPD und GAL haben einen Antrag eingebracht, demzufolge dem Treff für 2002 die Mietzuschüsse gekürzt werden sollen. Das Jugendamt des Bezirkes hingegen will ihn vom bisherigen Standort am Lüttkamp weg verlegen.
In dem Treff der Kirchengemeinde „Zu den Zwölf Aposteln“ betreut der Sozialpädagoge Gerhard Rumrich seit 14 Jahren sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche – oft ganze Familien, die Mehrheit MigrantInnen. Die Kirche fungiert dabei als freier Träger, die Hauptfinanzierung trägt die Stadt. Seit im vorigen August ihre Räume abgebrannt sind, treffen sich die Jugendlichen buchstäblich auf der Straße. Ein Angebot der SAGA in einem Neubau lehnte der Jugendhilfeausschuss ab, da die dortige Wohnung zu groß sei. Vor einem Monat beruhigte das Jugendamt auf Nachfrage, der Treff könne demnächst vorläufig in ein Reihenhaus, ebenfalls von der Saga, umziehen. Nun allerdings soll er plötzlich ins so genannte Flüsseviertel an der Stadtgrenze zu Schenefeld verlagert werden, etwa zwei Kilometer entfernt. Dort gebe es Bedarf für die Betreuung junger Deutschrussen.
Für Rumrich würde dies aber bedeuten, „seine“ Familien im Stich zu lassen und von vorne anzufangen – „denn diese Jugendlichen sind nun mal nicht so mobil, dass sie eine Verlagerung mitmachen“, weiß Marcus Weinberg, der für die CDU im Jugendhilfeausschuss sitzt. Auch Regenbogen und GAL sind gegen eine Verlagerung. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass das Amt mit seinem Antrag heute Erfolg hat.
Bleibt noch die drohende Kürzung der Mietzuschüsse. Mit dem eingesparten Geld, so der Antrag von SPD und GAL, soll der geplante afrikanische Jugendclub „Sokoni“ finanziert werden. „Anderenfalls wäre es mit Sokoni nichts geworden“, begründet GAL-Bezirksfraktionsvorsitzende Gesche Boehlich, warum ihre Partei diesen Antrag mit formuliert, obwohl sie für den Treff am Lüttkamp ist. Susanne Frosch vom Regenbogen hingegen kritisiert: „Hier werden zwei Einrichtungen gegeneinander ausgespielt.“ Sie hat einen Änderungsantrag gestellt, der das Jugendamt auffordert, grundsätzlicher zu überlegen, wie das knappe Geld verteilt werden soll.
Rumrich und seine Jugendlichen sind vom Hin und Her und die lange Zeit ohne Dach über dem Kopf mittlerweile zermürbt. Damit ist auch ein Projekt gefährdet, das erst im Januar diesen Jahres von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) mit dem Bertini-Preis ausgezeichnet wurde: Seit sechs Jahren fahren die Jugendlichen vom Lüttkamp jeden Herbst nach Wien und restaurieren dort ehrenamtlich einen jüdischen Friedhof. Deswegen gerät Rumrich derzeit noch von anderer Seite unter Druck: Anonyme Anrufer beschimpfen ihn am Telefon als „Drecksau“ und „Judenfreund“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen