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Projekt Wiedergutmachung

■ Arbeitsgruppe der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik hilft Opfern der NS-Psychiatrie, ihr Recht auf Entschädigung durchzusetzen / ABM-Stellen laufen im Sommer aus

Reinickendorf. Von 1933 bis 1945 wurden in den „Wittenauer Heilstätten“ im Norden von Berlin ungezählt viele Zwangssterilisationen durchgeführt und Psychiatriepatienten ermordet. 1957 erhielt diese Anstalt einen neuen Namen, sie heißt jetzt „Karl-Bonhoeffer- Nervenklinik“. Die NS-Vergangenheit geriet in Vergessenheit, die Opfer der rassistischen Psychiatrie wurden zu Randfiguren, an die sich niemand mehr erinnern wollte. Auf eine „Wiedergutmachung“ warteten sie vergeblich.

Eine gesetzliche Grundlage, um diese Menschen zu entschädigen, gibt es erst seit wenigen Jahren. 1987 richtete das Land Berlin eine „Stiftung für Opfer der NS-Willkürherrschaft“ ein, die theoretisch auch den ehemaligen Insassen der Wittenauer Heilstätten offenstand. Ein Jahr später wurden auch auf Bundesebene neue Richtlinien beschlossen und der Kreis der Anspruchsberechtigten 1991 abermals erheblich erweitert. Erst jetzt, 60 Jahre nach dem Erlaß des „Erbgesundheitsgesetzes“ gelten Zwangssterilisierte als rassisch Verfolgte, erst jetzt sind die Bedingungen für eine wirksame Entschädigung auch wirklich gegeben.

In der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik existiert seit vier Jahren ein „Projekt zur Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen“. Mitarbeiter des Hauses helfen den einst gequälten Menschen, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Aber in Gesetze gegossenes Recht ist eine Sache, eine andere ist es, sich nach 50 bis 60 Jahren an die lange verdrängten Greueltaten neu erinnern zu müssen. Diese Belastung ist für viele zu groß, den inneren Frieden zu bewahren ist vielen wichtiger als ein monetäres Zubrot. Wenigstens läuft für diejenigen die den Schritt aus der Anonymität wagen, die Entschädigungspraxis nun unproblematisch und großzügig. Neben einer großen Zahl von Anfragen wurden vom Projekt Wiedergutmachung bisher 350 Anträge bearbeitet und durch die Instanzen gebracht.

Wie lange noch, ist allerdings ungewiß. Die Weiterexistenz des Projekts Wiedergutmachung ist gefährdet. Denn Mittel für die auf ABM-Basis beschäftigten Mitarbeiter sind nur bis zum Sommer bewilligt, und zu fürchten ist, daß in Zukunft die Bearbeitung der aktuellen Anträge genauso lange dauern wird, wie einst die Verfolgung von Unrecht.

In den sechziger Jahren noch verliefen Strafverfahren gegen Ärzte der Wittenauer Heilstätten im Sande. Besonders krass ein Fall von 1964: Die Klage von Werner K., eines ehemaligen Insassen, wurde kaum ernsthaft verfolgt. Der Kläger wurde zum Angeklagten, statt recht zu erhalten, wurde er umgehend erneut in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Die Begründung: Werner K. gefährde die Sicherheit und Ordnung, dazu komme ein krankhafter Entschädigungswahn. Schon nach kurzer Zeit wurde er jedoch wieder entlassen, da die Einweisung offensichtlich unbegründet gewesen war. Erst seit 1988 erhält Werner K. eine kleine Zusatzrente.

Hemmnisse dieser Art verzögerten so lange die Aufarbeitung der Verbrechen. Erst einer 1984 gegründeten Arbeitsgruppe in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik war es zu verdanken, daß die Geschichte der Anstalt erforscht wurde und noch wird.

Den Initiatoren des Projektes geht es dabei nicht nur um die Vergangenheit und um Anklage. Die Schuld der Täter soll nicht geschmälert werden. Aber die Mitarbeiter hoffen, durch ihre Detailstudien über Ärzte, die vom System geschützt wurden, den Blick für Machtmißbrauch auch in der Gegenwart zu schärfen.

Auch der drohende Abbruch des Wiedergutmachungsprojektes wäre ein später Erfolg derjenigen, die stets um Verschleppung bemüht waren oder die Ohren taub stellten. Ein Fortbestehen des Projektes Wiedergutmachung an der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik würde den betagten Opfern die Zumutung ersparen, sich allein durch die Instanzen quälen zu müssen. Ulrich Hinz

Eine Dauerausstellung „Totgeschwiegen“ ist im Verwaltungsgebäude der Klinik zu sehen. Zur Geschichte der Klinik erschien 1989 in zweiter Auflage der Band „Totgeschwiegen 1933–1945. Zur Geschichte der Wittenauer Heilstätten. Seit 1957 Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik.“ (Edition Hentrich Berlin.)

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