Wirtschaftsverhör: Prognose–Politik
■ Interview mit Professor Rudolf Hickel, Memorandum–Gruppe
taz: Ist die unterschiedliche Wachstumsprognose von 1 % der Forschungsinstitute nicht eigentlich ein Streit um des Kaisers Bart? Rudolf Hickel: Es ist deshalb kein Streit um des Kaisers Bart, weil ein Prozent Wirtschaftswachstum anstatt zwei in diesem Jahr erstmals wieder seit vier Jahren einen Abbau der Arbeitsplätze von ca. 200.000 bedeuten würde. Ist denn der Abbau von Arbeitsplätzen so automatisch an das Wirtschaftswachstum gekoppelt? Es läßt sich zeigen in den letzten vier Jahren, daß das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum ohnehin nicht in ausreichendem Maße Arbeitsplätze geschaffen hätte, wenn es nicht gleichzeitig Arbeitszeitverkürzungen gegeben hätte. Wenn jetzt aber die Konjunktur abbricht, dann reicht auch die bisher anvisierte Arbeitszeitverkürzung von etwa einem Prozent nicht mehr aus, um praktisch Arbeitsplätze zu schaffen. War die optimistische Prognose, die die Institute vor der Wahl abgegeben haben, denn ein Gefälligkeitsgutachten? Ich gehe davon aus, daß der Sachverständigenrat und vor allem die Deutsche Bundesbank fahrlässig gehandelt haben. Sie haben ab November, wo sich zeigte, daß der achte Konjunkturzyklus zu Ende geht, eindeutig noch von der Robustheit und Stärke der Wirtschaft gesprochen, und das hat mit den Daten schon nicht mehr übereingestimmt. Ich sage ganz klar, die Optimisten waren vor allem Optimisten bei der Unterstützung der Bundesregierung. Die Memorandums–Gruppe hat ja einen Tag nach dem Sachverständigenratsgutachten, und zwar im November, ein Sondergutachten vorgelegt mit dem Titel „Vor dem Abschwung: Gegen Schönfärberei und wirtschaftspolitisches Versagen“. Damals sind wir von vielen belächelt worden. In der Zwischenzeit zeigt sich, daß die damals abgegebene Prognose für das Jahr 1987 leider zutrifft. Hat die Memorandumsgruppe eigentlich jemals einen Aufschwung prognostiziert? Das ist eine sehr gute, man kann fast sagen, hinterhältige Frage. Ich beantworte sie erstmal indirekt und sage, daß die konservativen regierungsfreundlichen Wirtschaftsinstitute und auch der Sachverständigenrat noch nie einen Abschwung vorhergesagt haben. Die Memorandums–Gruppe geht da realistscher ran. Eine der wichtigen, auch beschäftigungspolitisch wirksamen Maßnahmen ist es, auch im Inland dafür Sorge zu tragen, daß vernünftige zukunftsorientierte und vor allem auch ökologische Produktionsfelder ausgeschöpft durch öffentliche Politik werden. Das ist das eine, aber das wichtige und das sage ich ganz bewußt, auch in der aktuellen Tarifauseinandersetzung, das zentrale Instrument der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zu dem sich die Institute mit keinem Wort äußern, ist natürlich die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung. Interview: Georgia Tornow
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