: Profilierungssucht
■ Juristen tagten zum Thema AIDS
Zum Thema AIDS gehören viele juristische Probleme von A wie Aufenthaltsgenehmigung bis Z wie Zwangsuntersuchungen an Vergewaltigten. Kein Wunder also, wenn nicht jedes Thema bearbeitet werden kann. Für besonders brennende Fragen gibt es aber bereits Fachliteratur, und der unbefangene Teilnehmner konnte wohl eine Übersicht hierüber nebst Stellungnahmen qualifzierter ReferentInnen erwarten. Weit gefehlt: Damen und Herren ReferentInnen hatten von den medizinischen Voraussetzungen meist nur wenig Ahnung, und von den juristischen SpezialistInnen war niemand auf dem Podium. Zwei Tage lang wurde so über Möglichkeiten geredet, wie die Gefahr eingedämmt werden könnte, die von HIV–Antikörper–Trägern ausgehe, als ginge es darum, effektivere Mittel als Kreuz und Knoblauch gegen Vampire zu finden. Die konservativen, teilweise militant–reaktionären Podiumsteilnehmer waren denn auch ganz überwiegend der Ansicht, eine Meldepflicht solle ins Bundesseuchengesetz aufgenommen werden, ohne etwas über die Durchführung der dort vorgesehenen Absonderung zu sagen. Die Laborberichtspflicht sei nichts wert, weil sie nur Fallzahlen bringe - was nicht stimmt, aber niemand auf dem Podium wußte überhaupt, was in der Verordnung steht. Da wirkte der Diskussionsleiter mit seiner Forderung nach einer repräsentativ–Testung entsprechend dem Mikrozensus auf manche noch gemäßigt, obwohl er keinen Zweifel daran ließ, daß den für den Mikrozensus–Test Ausgesuchten Blut nötigenfalls zwangsweise abgezapft werden müßte. Selbst der Leiter der Münchner Gesundheitsbehörde stöhnte in einer Pause, er hätte sich praktische Lösungsvorschläge erhofft. Nur eines ist seit Mannheim klar: Wer zum Test geht und einen positiven HIV–Antikörper–Status mitgeteilt bekommt, erlebt unabhängig vom weiteren medizinischen Verlauf sofort einen Prozeß, der unaufhaltsam zum sozialen Tod führt. Die kleinste Schwäche - und sei es das Küssen der eigenen Kinder einer Drogenbenutzerin - kann ihr danach als Mordversuch vorgeworfen werden. Fühlt sich etwa jemand an Beleidigung durch auffallendes Hinsehen erinnert? Stefan Reiß, Rechtsanwalt und ehemaliger AL–Abgeordneter in Berlin
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