Profiboxer Steffen Kretschmann: Der Hüne macht sich klein
Groß herausbringen wollte Sat.1 die Schwergewichtshoffnung Steffen Kretschmann. Doch der Boxer fällt durch und muss sich jetzt einen neuen Job suchen
Das Bild vom großen Hoffnungsträger Steffen Kretschmann, der mit hängendem Kopf und schlaffen Schultern in seine Ecke trottet, und des sich abwendenden Ahmed Öner, der im silbergrauen Anzug etwas ratlos in Richtung Publikum blickt, hatte Symbolcharakter. "Einfach nur noch peinlich" sei der Auftritt seines Schützlings gewesen, sagte Öner nach dem Kampf. "Es wird keinen neuen Max Schmeling geben", entfuhr es Promoter und Arena-Chef, der dem Treiben seines Schützlings kreidebleich zugesehen hatte. Schon nach fünf der insgesamt neun Runden habe "Kretsche" das Handtuch werfen wollen, in der neunten Runde half dann auch kein Druck mehr vom Trainer und Promoter - Steffen Kretschmann stellte die Arbeit ein.
Er wollte, aber er konnte nicht mehr, obgleich er bis dahin die klareren Treffer gesetzt hatte. Hin und wieder war er mit guten Kombinationen durch die Deckung von Denis Bachtow, der sicherlich kein Stern am Boxfirmament ist, gebrochen. Doch immer dann, wenn er den Mann aus St. Petersburg gestellt hatte, setzte Kretschmann nicht nach, ließ Bachtow Zeit, sich zu sammeln und die Initiative zu ergreifen. "Der Killerinstinkt fehle ihm", lautete das Urteil von Ex-Boxweltmeisterin Regina Halmich, die Kretschmann als Mentaltrainerin zur Seite stand.
Das Siegergen sollte sie dem Mann der leisen Töne einimpfen, doch der Druck für den 29-jährigen Schwergewichtler war zu hoch. Mental nicht hart genug, lautete das Urteil der Boxprominenz am Ring in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg, und einzig Ex-Weltmeister Markus Beyer, einer der Experten im Sat.1-Studio, wagte einzuwenden, dass "Kretsche" ein Psychologe hätte helfen können. Doch die sind im deutschen Boxsport nach wie vor verpönt, so der Ex-Boxer, der sich in den USA einst in psychologische Betreuung begeben hat.
Der einsilbige Hüne aus Köthen in Sachsen-Anhalt wurde hingegen in bester Rocky-Manier aufgebaut. Promoter Ahmed Öner spendierte ein Trainingslager in Russland, wo "Kretsche" tänzelnd zwischen Rinderhälften im Schlachthof oder beim Lauftraining im Wald mit einem Baumstamm auf dem Kreuz gefilmt wurde - markantes Bildmaterial für den "Kampf meines Lebens", wie die Sat.1-Vermarkter ihren Neustart ins Boxbusiness mit Kretschmann als Zugpferd martialisch genannt hatten.
Für den zurückhaltenden Boxer, der das Rampenlicht scheut wie der Vampir das Kreuz, war das anscheinend zu viel der Belastung. Zwar landete er immer mal wieder klare Aktionen im Ring, setze Treffer, aber jedes Mal, wenn Bachtow sich wehrte, ließ sich Kretschmann zurückdrängen und überließ dem Gegner die Initiative.
Und dann folgte die neunte Runde, in der sich Kretschmann einfach wegdrehte, in seine Ecke trottete und von Bachtow noch eine Rechte mit auf den Weg bekam. Promoter Öner ließ den Boxer nach dem Kampf wie eine heiße Kartoffel fallen. "Steffen sollte sich einen neuen Job suchen", lautete sein Rat. Das Brimborium um Kretschmann, den vor wenigen Wochen nur die Boxfachwelt kannte, hat sich trotzdem gelohnt, denn der Sender kam auf die anvisierte zweistellige Zuschauerquote, und für die Prominenz am und um den Ring gab es genug Gesprächsstoff.
Zudem hatten sie mit Yuriorkis Gamboa noch einen wahren Champ gesehen. Der konnte gegen den tapferen Argentinier Jonathan Victor Barros zwar nicht wie gewohnt dominieren, ließ seine Schnelligkeit und seinen Kombinationswirbel aber immerhin ab und zu aufblitzen. Das reichte für einen klaren Punktsieg. Von dem hatte wohl auch Steffen Kretschmann geträumt. Doch Arenas-Quotenboxer zerbrach an den Erwartungen.
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