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Proeuropäische Proteste in GeorgienZu siebt gegen den Georgischen Traum

In der georgischen Hauptstadt Tbilisi gehen die Menschen für eine proeuropäische Politik auf die Straße. Und auf dem Land?

EU-Beitritt statt Russlandnähe: Ge­or­gie­r*in­nen in Tbilisi protestieren gegen ihre Regierung Foto: Pavel Bednyakov/ap/dpa

BERLIN taz | In Georgiens Hauptstadt Tbilisi demonstrieren Tausende. Sie sind empört darüber, dass Ministerpräsident Irakli Kobachidse von der prorussischen Partei „Georgischer Traum“ angekündigt hat, die Verhandlungen über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union bis Ende 2028 auszusetzen. Aber was passiert gerade in den kleinen Städten und Dörfern, wo die Hauptstadt weit weg ist und jeder jeden kennt?

Achalkalaki, nahe der armenischen Grenze. Sieben De­mons­tran­t*in­nen haben sich am 8. Dezember im Stadtzentrum zusammengefunden. „Wir müssen irgendwie unsere Kollegen unterstützen, die in Tbilisi Gewalt erleiden“, sagte Rima Gharibiyan. Sie ist Chefredakteurin des Informationszentrums der südgeorgischen Region Samzche-Dschawachetien, in der Achalkalaki liegt. Neben Gharibiyan halten sechs ihrer Kol­le­g*in­nen Schilder in die Höhe. „Journalisten sind keine Zielscheibe“ und „Pressefreiheit ohne Gewalt“ haben sie darauf geschrieben. In der Nacht zuvor waren Journalist*innen, die live von den Protesten in Tbilisi berichtet hatten, verprügelt worden.

In Achalkalaki hat sich Mahare Matsukatov zu den Jour­na­lis­t*in­nen gesellt. „Ich bin sehr unzufrieden mit dem, was in Georgien geschieht“, sagt der Direktor des Achalkalaki Business Center. „Ich bekunde meine Solidarität mit den Journalisten und dem georgischen Volk.“ Matsukatov sorgt sich auch um den Zugang zu europäischen Märkten. „Wir haben uns jahrelang um die europäische Integration bemüht“, sagt er. „Jetzt fallen wir von heute auf morgen in die 1990er Jahre zurück.“

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Pas­san­t*in­nen betrachten die kleine Protestaktion in Achalkalaki eher erstaunt und gehen weiter ihrem Alltag nach. Indes machen Geheimdienstvertreter Fotos. Sie zu identifizieren ist für die De­mons­tran­t*in­nen ein Leichtes, in der 7.000-Einwohner-Stadt kennt man sich.

„Wir müssen irgendwie unsere Kollegen unterstützen!“: De­mons­tran­t*In­nen treffen sich am 8. Dezember im Stadtzentrum von Achalkalaki Foto: Kristine Marabyan

Es ist kein Zufall, dass sich an diesem Tag niemand aus der Stadtbevölkerung der Demonstration anschließt. Bei den letzten Parlamentswahlen erhielt der „Georgische Traum“ in Achalkalaki laut offiziellem Ergebnis fast 90 Prozent der Stimmen. Für die meisten Menschen in der Region Samzche-Dschawachetien ist Europa nur eine Utopie, sie wollen die Annäherung an Russland. Das hat Geschichte. Zu Sowjetzeiten gingen viele Menschen als Saisonarbeiter nach Russland, in den 1990er Jahren wegen besserer Lebensbedingungen. Noch heute arbeitet aus gut der Hälfte aller Familien in Achalkalaki und den umliegenden Dörfern mindestens eine Person im Ausland, knapp 96 Prozent davon in Russland. Die Wirtschaft der Region ist von Russland abhängig.

Auch ein Sprachproblem

Aber das ist nicht der einzige Grund. Gerade in den Siedlungsgebieten der ethnischen Minderheiten gebe es eine Tradition der politischen Passivität, erklärt Giorgi Badridze, Senior Fellow der georgischen Stiftung für strategische und internationale Studien. Vielfach seien die ethnischen Minderheiten nicht ausreichend in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben des Landes integriert. „Es ist ärgerlich, wenn Armenier und Aserbaidschaner sich nicht an politischen Prozessen beteiligen“, sagt Badridze. Was diese als politische Höflichkeit empfänden, sei vor allem ein Zeichen fehlender Teilhabe.

Dazu kommt: In Samzche-Dschawachetien sind die Hauptinformationsquellen vor allem armenische oder russische. „Das beeinflusst die Menschen, die in der Mehrheit auch kein Georgisch sprechen“, sagt Badridze.

Fehlende Georgischkenntnisse, die starke Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung und eine Tradition der politischen Neutralität schaffen Be­ob­ach­te­r*in­nen zufolge eine Atmosphäre, in der Proteste als riskant und unwichtig empfunden werden. Junge Leute aus Achalkalaki jedoch, die in Tbilisi studieren, unterstützen die Protestbewegung und nehmen an Demonstrationen teil. Nur zu Hause zeigen sie das lieber nicht zu deutlich. Sie haben Angst vor der Regierungspartei und dem Geheimdienst und wollen auch ihre Familien nicht gefährden. Zur nächsten Demo gehen sie höchstens in Tbilisi.

Achalkalaki, nahe der armenischen Grenze, im Dezember Foto: Kristine Marabyan

Aus dem Russischen übersetzt von Gaby Coldewey. Die Autorin Kristina Marabian war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung

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