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Pro

■ Brigitte Fehrle, West-taz

Eines der traurigsten Kapitel der taz-Geschichte ist geschrieben worden. Die MitarbeiterInnen mit DDR -Staatsbürgerschaft haben versucht, die Veröffentlichung einer Liste mit Adressen von Stasi-Objekten zu verhindern. Mit der Begründung, man könne den zu erwartenden Volkszorn, der möglicherweise Unbeteiligte treffen könnte, nicht verantworten, sollten Informationen zurückgehalten werden. Informationen, die als wichtig und interessant bezeichnet wurden. Nur „ausgewählten“ Leute, sollten sie bekommen, die „verantwortlich“ damit umgehen würden.

Selbstverständlich gehört es zu einem journalistischen und politischen Ethos, sich genau zu überlegen, welche Informationen man wie in die Öffentlichkeit trägt. Im Glauben an die Macht des Wortes, wurden entsprechende redaktionelle Beiträge geplant, die unsere Intention deutlich machen sollten. Nach ausführlicher Diskussion beschloß das Plenum gegen die Stimmen der KollegInnen aus der DDR, die Liste zu veröffentlichen. Am Tage danach handelte die Redaktionsleitung einen „Kompromiß“ aus: Veröffentlichung in einem Sonderheft, das extra bestellt werden muß.

Was heißt das? Die Zeitung ist zu feige, die politische Verantwortung für die Verbreitung für eine von Innenminister Diestel bereits mit Strafandrohung versehene Information zu übernehmen. Sie schiebt diese Verantwortung auf Individuen ab, die sich dann überlegen müssen, ob sie eine möglicherweise illegale Publikation bei uns bestellen oder nicht. In der Hoffnung, daß nur „intelligente“ Leute die Liste anfordern und nicht das „Volk von 16 Millionen Idioten“ (O-Ton eines DDR Kollegen), hofft man, das mögliche Risiko eines „Übergriffs“ auf Unschuldige zu minimieren.

Wer ist „das Volk“? Wie sehen DDR-Bürger sich als „Volk“, wenn sie sich nicht nach 40 Jahren SED-Intrigen Öffentlichkeit zumuten? Wie soll Geschichte aufgearbeitet werden, wenn nicht so: daß zunächst einmal jeder weiß, wenigstens wissen kann. Das Argument, es ginge uns Westler nichts an, wie „wir DDR-Bürger unsere Geschichte“ aufarbeiten, ist absurd. Es geht um das „Deutsche“ im Umgang mit unserer Geschichte. Oder geht es statt dessen und schon wieder um Verdrängung, um Nicht-wissen-wollen, um Schwamm -drüber, um Nicht-dran-rühren? Es geht um die Entschuldigung, das Vergessen. Was wir aber wollen müssen ist die Auseinandersetzung mit dem Ziel einer Aussöhnung. Und es geht um unsere gemeinsame Zukunft.

Ohne radikale Öffentlichkeit aber ist dies nicht möglich. Ohne Öffentlichkeit ist aber auch die Entwicklung einer Demokratie nicht möglich. Öffentlichkeit muß als unteilbares demokratisches Recht verteidigt werden. Für eine Zeitung ist sie die Grundlage und alleinige Legitimation ihrer Existenz. Öffentlichkeit ist eine der Grundlagen der Demokratie. Mit dem Argument, möglicherweise unbeteiligte Personen schützen zu wollen, operieren die Nachrichtendieste, die Polizei, die Innenverwaltungen. Mit diesem Argument werden parlamentarische Ausschüsse unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt. Es kann nicht sein, daß die taz in der BRD ein Jahrzent radikal dafür gekämpft hat, daß dem Volk Informationen nicht vorenthalten werden, um nun für das Volk der Noch-DDR das Erbe der SED-Funktionäre anzutreten, die 40 Jahre lang entschieden haben, was das Volk wissen darf.

Die Zeitung unterstützt damit nämlich nur den gigantischen politischen und gesellschaftlichen Verdrängungsprozeß, der derzeit in der ganzen DDR zu beobachten ist. Eine Zeitung wie die taz, die aus der Tradition der „Verbreitung unterbliebener Nachrichten“ entstand, die als Reaktion auf die Nachrichtensperre der Bundesregierung im „Deutschen Herbst“ gegründet wurde, beteiligt sich nun selbst an politischer Selektion von Informationen, maßt sich an zu entscheiden, wer eine Information bekommen soll und wer nicht. Das nutzt der Macht der Apparate - zu der im Zweifel auch Bürgerkomitees gehören - und macht die Menschen wieder zu unwissenden und damit ohnmächtigen Objekten. Es sind die alten Methoden, mit denen hier Politik betrieben wird. Wenn die taz dagegen nicht radikal Stellung nimmt - und dabei ist ihre erste Aufgabe die Weitergabe von Information kollaboriert sie mit diesem System. Das wäre das Ende der Zeitung.

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