Pro und Kontra: Ist die US-Mission in Haiti zu militärlastig?
War es angesichts der großen Zerstörungen durch das Erdbeben gerechtfertigt, dass US-Militärs das Komando in Haiti übernommen haben, oder steckt da mehr dahinter als nur "schnelle Hilfe"?
P ro
Angesichts der Verheerungen in Haiti erscheint jede Hilfe willkommen. Auch und gerade logistische Unterstützung, wie sie in einer solchen Situation Militärs bereitstellen können. Insofern führt an der zentralen Rolle der USA derzeit womöglich kein Weg vorbei.
Trotzdem ist eine Gegenrede zum militarisierten Verständnis von Hilfe, noch dazu angeführt von den USA, jetzt nötig - aus zwei Gründen: Erstens stand der militärische Teil der US-Hilfe von Anfang an unter der Maßgabe, ein Eindringen haitianischer Katastrophen-Überlebender in die USA zu verhindern. Entsprechend werden Teile der Militärs auch stationiert an den Außengrenzen des Landes. Viel ist die Rede von der Gewährleistung der Sicherheit bei der Verteilung von Hilfsgütern. Der beste Weg, dies zu sichern, ist die Einbeziehung der Betroffenen, die Stärkung der Selbsthilfestrukturen, die sich in solchen Katastrophen herausbilden, und nicht die Androhung von Waffengewalt. In konservativen US-Think-Tanks gibt es eine Strömung, die eine Protektorats-Lösung für Haiti befürwortet. Wenn die US-Hilfe von diesen Ideen geleitet ist, dann sollte man sich anschauen, wo diese Form von "Hilfe" bereits gescheitert ist: im Irak und in Afghanistan. Auch kann sich die US-Politik nicht gerade auf gute Traditionen hinsichtlich Haiti berufen. Die Interventionen der Großmacht sind wesentlicher Bestandteil der haitianischen Misere.
Der zweite wesentliche Grund zur Skepsis: In unserer medialisierten Öffentlichkeit ist die "schnelle und sichtbare Hilfe" zum Credo für Wirksamkeit geworden. Der Militärhubschrauber, der eine werdende Mutter aus den Fluten rettet, war das Sinnbild bei der Katastrophe 2000 in Mosambik und hat einen Paradigmen-Wechsel im Verständnis von wirksamer Hilfe eingeleitet. Jetzt könnten es die Fotos von US-amerikanischen Fallschirmen sein, die Lebensmittel abwerfen. Wirkliche Hilfe in Haiti aber wird auf Dauer nur gelingen, wenn die Haitianer selbst zu zentralen Akteuren des Rehabilitations- und Wiederaufbau-Prozesses werden. Das ist mit einem militärisch geprägten Top-Down-Konzept von außen nicht zu machen.
KATJA MAURER ist Pressesprecherin von medico international.
********************************
Kontra
Militarisierung der Nothilfe, Militarisierung der Karibik - so lauten die Vorwürfe, die den Einsatz von zunächst 11.000 US-Soldaten in Haiti begleiten. Die damit verbundene Kritik liegt jedoch auf unterschiedlichen Ebenen: Die Katastrophenhilfe - und das haben viele Hilfsorganisationen bestätigt - war zunächst nicht in der Lage, die drei Kernprobleme zu lösen: Sicherheit, Logistik und Koordination.
Hier sind die USA eingetreten und haben das Heft des Handelns an sich gezogen; ob dies erfolgreich, angemessen oder auch nur hinreichend war, ist heute kaum zu beurteilen. Haiti ist eben ein gescheiterter Staat, der seine Staatsfunktionen zu großen Teilen an die UN-Mission Minustah abgetreten hatte. Insofern waren und sind auch nur rudimentäre Regierungsstrukturen vor Ort nicht vorhanden, die als Ansprechpartner fungieren konnten. Die UN-Mission und in Haiti bereits vor dem Erdbeben aktive NGOs sind ebenfalls in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigt.
Das Ausmaß der Schäden scheint auch heute noch den großformatigen und von der Militärmaschinerie getragenen Einsatz der US-Streitkräfte als Maßnahme der Nothilfe zu rechtfertigen und notwendig zu machen. Der Wiederaufbau wird jedoch wieder unter das Mandat der UN kommen müssen, wenn er erfolgreich die vielfältigen Beiträge der internationalen Gemeinschaft bündeln soll.
Dann dürfte das zweite Argument einer militärischen Besetzung Haitis mit dem Ziel einer Veränderung der politischen Gewichte in der Karibik in sich zusammenfallen. Denn die Vereinigten Staaten können Wiederaufbau und Staatsbildung nicht alleine schultern, zumal sie weltweit bei ähnlichen Aufgaben nicht besonders erfolgreich sind. Hier ist der Rat und die Beteiligung anderer Geber gefragt, die mit weicheren Methoden und partizipativen Ansätzen arbeiten, ohne auf umfassende Apparate und festgelegte Handlungsmuster wie die USA zu setzen. Die Länder Südamerikas haben sich bislang intensiv dieser Aufgabe im Rahmen der UN-Mission gestellt, ihnen sollte auch weiterhin eine tragende Rolle zukommen.
GÜNTHER MAIHOLD ist Stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe