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Pro und KontraSoll der öffentliche Dienst jetzt streiken?

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel und Stephan Kosch

Die Kommunen sind pleite, sagen die Streikgegner. Es wird Zeit die Verluste bei den Reallöhnen wieder auszugleichen, sagen die Unterstützer des Arbeitskampfes.

Warnstreik am Klinikum Wolfsburg. Bild: apn

P ro

Ja, die Finanzlage der Kommunen ist bitter. Doch die Forderungen und der Streik im öffentlichen Dienst sind trotzdem richtig. Die Streikenden fordern vor dem Hintergrund jahrelanger Reallohnverluste nicht nur moderate Einkommenszuwächse, sondern auch die erneute Einführung der Altersteilzeit bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Übernahme von Auszubildenden. Denn der Personalbestand des öffentlichen Dienstes wird seit Jahren zurückgefahren. Dazu kommt: Die Tariflöhne sind in den letzten zehn Jahren deutlich langsamer gestiegen als in dem meisten anderen Branchen.

Es gibt den Beamten im hohen Dienst, der gut verdient und auch bei der Altersversorgung Privilegien genießt. Aber eine große Anzahl derjenigen, die jetzt für etwas mehr Lohn streiken, sind Busfahrer, Müllmänner, Zollbeamte oder Krankenschwestern. Sie gehen mit 1.300 bis maximal 2.300 Euro nach Hause. Gleichzeitig steigen die Anforderungen: Die Angestellten in den Argen sollen für immer mehr Arbeitslose zuständig sein und ein hochkomplexes Regelwerk anwenden. Der Lebensmittelkontrolleur soll uns vor dem Gammelfleisch bewahren, die Erzieherinnen sollen unsere Kinder immer gezielter fördern. Wir wollen immer mehr, doch kosten darf es nicht mehr. Selbst in den Kommunen gibt es Stimmen, die sagen, man darf den öffentlichen Dienst nicht noch weiter zurückfahren, will man existenzielle Leistungen für ein gut funktionierendes Gemeinwesen erhalten.

Doch auch aus politisch-strategischen Gründen ist der Streik richtig: Wenn man jetzt dem Ruf folgt, er sei angesichts der leeren Kassen unverantwortlich, schlägt man nicht nur volkswirtschaftlich gewichtige Argumente in den Wind, denn Kaufkraftsteigerung auf dem Binnenmarkt müsste das Gebot der Stunde sein. Man geht auch gern bemühten Sachzwangargumenten auf den Leim, die den Blick darauf verstellen, womit wir es zu tun haben: mit einer Regierung, die die Umverteilung von unten nach oben befeuert, dabei aber den Spruch bemüht: "Alle müssen den Gürtel enger schnallen." Selbstauferlegte Bescheidenheit ist da Selbstmord.

Eva Völpel ist Inlandsredakteurin der taz.

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Kontra

Keynes Grundsatz ist richtig, das haben spätestens im letzten Jahr alle Interessierten gelernt: In wirtschaftlichen Krisen sollte der Staat nicht sparen, sondern Geld in die Hand nehmen und die Binnenkonjunktur stärken. Der Dieselmotor wird angeworfen und ersetzt die Segel, die schlaff in der konjunkturellen Flaute hängen. Gleichzeitig ist der Treibstoffvorrat an Bord aber endlich. Der Stimulus kann also nur zeitlich begrenzt gesetzt werden. Auch das hatte Keynes vorgesehen: In wirtschaftlich besseren Zeiten soll der Staat sich sein Geld dann zurückholen.

Soweit denken die Ver.di-Strategen jedoch leider überhaupt nicht, zumindest nicht öffentlich. Stattdessen verballhornen sie die keynsianische Lehre zum ebenso holperigen wie fragwürdigen Motto "Sozial ist, was Kaufkraft schafft".

Ver.di unterläuft also erstens das Gebot der zeitlichen Befristung staatlicher Stimuli. Oder sollen die Löhne nach der Krise etwa wieder gekürzt werden? Zweitens wird das entscheidende Problem ignoriert: Der Tank ist in den meisten Städten und Gemeinden schon lange leer, das Schiff fährt noch nicht mal auf Reserve, sondern auf Pump. Und die Rechnung zahlen wir: durch höhere Steuern, marode Schulen, teurere Bus-Tickets und noch ein geschlossenes Hallenbad.

Schon klar: Krankenschwestern und Altenpfleger sind in Deutschland unterbezahlt und die Arbeit von ErzieherInnen in Kitas sollte uns nicht weniger wert sein als die der Lehrer. Doch solche Fragen müssen in branchenspezifischen Verträgen gelöst werden, die wesentlich flexibler auf die jeweiligen Rahmenbedingungen eingehen können.

Die Mitglieder der IG Metall haben zu Recht vor allem auf die Sicherung von Arbeitsplätzen gesetzt, weil die Autobranche derzeit auf Halde produziert. Banken und Versicherungen melden ein Jahr nach den staatlichen Rettungsaktionen hingegen wieder Milliardenprofite. Wenn es bei denen wieder um Lohnverhandlungen geht, sollte Ver.di darauf achten, dass ihre Lohnforderungen nicht zu bescheiden ausfallen. Anders als bei den Kommunen ist dort nämlich Geld zu holen.

Stephan Kosch ist Wirtschaftsredakteur der taz.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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6 Kommentare

 / 
  • MB
    M. Burghardt

    Keynes ist ein schlechter Kronzeuge gegen die Gewerkschaften, sie sind nicht für die antizyklische Haushaltspolitik einer verantwortungsvollen Regierung zuständig. Von einer solchen darf man aber schon lange nicht mehr sprechen; seit mehr als 30 Jahren wird im neoliberalen Geiste zunehmend auf Pump regiert.

     

    Das Resultat ist eine derart monströse Staatsverschuldung, dass nur noch Politiker von einer Lösung zu schwafeln wagen. Die sind ja nicht alle blöd; sie wissen schon, warum sie die Entschuldung des Staatshaushalts immer erst für die nächste Legislaturperiode versprechen.

     

    Die Gewerkschaften können das Problem nicht lösen - keiner kann das im Rahmen des Systems leisten, es sei denn durch massive Geldentwertung. Eine entsprechende Hyperinflation ist in ihren Folgen aber unkalkulierbar und möglicherweise systemsprengend. Die Angst davor ist so groß, dass selbst die Besitzer von Schulden den Bewahrern des Perpetuum Mobile regelmäßig ihre Stimme geben.

     

    Innerhalb des Systems können die Akteure bestenfalls für eine Abkehr von der Umverteilung nach Oben eintreten, also für höhere Sozialleistungen und angemessene Löhne der unteren Einkommensschichten. Bezahlbar ist das genau so wenig wie die Bankenrettung oder die Klientelpolitik von CSU und FDP, aber so würden wenigstens die "Richtigen" von dem Geld profitieren, das wir nicht haben.

     

    Aus dem Paradoxon, dass Ver.di dazu Geld einfordern muss, welches nicht vorhanden ist, kann uns Keynes nicht retten. Nicht nur die Kommunen sind verarmt; auch die Rentensysteme, das Bildungs- und Gesundheitswesen sind überschuldet. Gleichzeitig ächzt der Mittelstand unter der Krise, und die bürgerliche Mittelschicht verabschiedet sich ins untere Drittel der Gesellschaft.

     

    Der Rat des Wirtschaftsredakteurs an Ver.di, die Lohnerhöhungen bei Banken und Versicherungen einzufordern, trifft zwar nicht die Falschen, hilft aber den wenigsten Beschäftigten. Für die Umverteilung des monetären Reichtums in notleidende Systeme wäre der Staat zuständig; mit ihren Lohnforderungen für den öffentlichen Dienst erhöht die Gewerkschaft den Druck auf eine dazu unfähige Regierung.

     

    Ich finde: zu Recht.

  • V
    vic

    In Stuttgart wird derzeit das Projekt Stuttgart 21 realisiert. Wer hier streikt, hat jedes Recht dazu. Denn offenbar ist Geld im Überfluss vorhanden.

    Zudem belastet S-21 die Pendler mehr als jeder Streik das jemals könnte.

    Wir können alles, außer rechnen!

  • R
    rolfnighthawk

    Es ist das letzte!

    Da sind Mitarbeiter von Siemens/Quelle/Karstadt/Schlecker froh ihren Arbeitsplatz zu erhalten und üben extremen Lohnverzicht und unsere Sesselfurzer ficht das nicht an - sie wollen mehr mehr mehr.

    Schmeisst sie raus, jeder zweite ist eh überflüssig - und ie kommunalen Finanzen wären saniert.

    mit ganz lieben grüßen

    rolfnighthawkk

  • ON
    Otto Niederhausen

    STEPHAN KOSCH meint, dass bei den Kommunen nichts zu holen sei(Geld). Sollen die dortigen Beschäftigten jetzt vielleicht noch etwas an den Arbeitsplatz mitbringen? Oder hat das Geld für die Bezahlung der Arbeitslöhne gewöhnlich doch aus anderen Quellen zu kommen? Wenn die Kommunen sich zwar einen sehr umfassenden, qualitativ hochwertigen Leistungskatalog (zum größten Teil sogar gesetzlich zugewiesen) leisten muss, auf der anderen Seite aber kein Geld für die Begleichung der daraus resultierenden Rechnungen hat, würde man in der Geschäftswelt von Betrugsabsichten sprechen. Bisher gilt überall immer noch der Grundsatz:

    Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen!

    Von Versprechungen, die die Arbeitgeber bereits 2005 bei der Umstellung des gesamten Tarifwerkes für Bund und Kommunen und auch in den danach folgenden Entgelttarifrunden gemacht haben, kann kein Mensch leben. Wenn es seitdem nicht gelungen ist, die für die Umsetzung des damals abgeschlossenen Tarifwerkes

    erforderlichen Finanzmittel endlich aufzutreiben, dann muss man wohl oder übel die Entgelte und deren Fortschreibung weiterhin auf Pump finanzieren (was übrigens bundesweit über die Ausreizung der so genannten Kassenkredite seit Jahren üblich und eigentlich verboten ist).Das alles ist auch den Beschäftigten seit sehr vielen Jahren ein Dorn im Auge. Nur scheren sich Bundes- und Landespolitiker einen Dreck darum. Die verschenken das Geld, das den

    Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den öffentlichen Einrichtungen vorenthalten wurde und wird, in sinnlosen Aktionen an diejenigen, die sowieso schon zu viel davon besitzen.

    Dieses Geld muss wieder zurück in die Kommunen fließen. Dann passt wieder alles.

  • OK
    Olaf K.

    Es ist schon fast beschäment,mit welcher tolldreisten Frechheit der öffentliche Dienst jedes Jahr streikt und unsere unfähigen,verschwenderischen und geldgeilen Beamtem,die dafür Sorge tragen,daß Städte und Gemeinden mit riesigen Schuldenbergen kämpfen müssen,dann den Tarifabschluß jedes Jahr schön sorgsam übernehmen...Macht Beamte endlich kündbar(wie jeden anderen Arbeitnehmer auch) und es geht wieder aufwerts mit unserem Staat.Keine Börsenspekulationen mit Steuergeldern(wie in einigen Städten)mehr und vorallem keine Burnoutsyndrome und Lanzeitkranke mehr,die vielerorts ganze Ämter lahmlegen.Denn man ist ja unkündbar und Leistung muß halt nur in der freien Wirtschaft erbracht werden... So wird jedes Jahr der öffentliche Dienst vorgeschoben um zu streiken,denn das(und nur das) dürfen unsere Beamten nämlich nicht...Jedes Jahr das selbe 2008,2009,2010...Eine Frechheit,ich habe noch nie eine Lohnerhöhung erhalten und lebe auch noch.

  • R
    Ritter

    Wäre der öffentliche Dienst nicht so unsolidarisch zu den Arbeitnehmern der Privatwirtschaft gewesen, dann stände ihrer Forderung eine ganz andere Größe zur Seite.

     

    Frech argumentiert der öffentliche Dienst ob seiner Sorge um die Binnennachfrage. Sie verstehen sich sogar mit ihrer Forderung, welch Hohn, als Initiative für mehr Wachstum.

     

    Hintergrund ist ein überheblicher Versorgungsanspruch !! Wärend andere darben !!!!!!