Pro und Contra zu Joachim Löw: Super-Jogi oder Vize-Jogi?
Er hat die Nationalmannschaft weit nach vorne gebracht. Aber auch im dritten Turnier nicht den letzten Schritt geschafft. Sollte die Ära Joachim Löw nach der EM enden?
Die EM als Etappe
Nicht nur das Auf und Ab der Börsen folgt einem manisch-depressiven Grundmuster, auch die Medien neigen dazu, einen Trainer, den sie gestern lobten, heute zu verdammen. Jogi Löw wird sich einiges anhören müssen nach seinem verpatzten Coaching gegen Italien. Er habe sich verzockt, sagen die einen. Er habe kompromisslerisch gehandelt, meinen die anderen. Aus Super-Jogi wird Vize-Jogi. Das ist purer Opportunismus!
Wäre sein Konzept aufgegangen, alle Welt hätte seine Chuzpe gelobt. Jetzt heißt es: Was für ein Depp! Man darf nicht ein Spiel pars pro toto für den Zustand der Nationalelf heranziehen. Klar, sie wurde von Italien teilweise vorgeführt, aber der Löw’sche Ansatz reicht weiter.
Es sind professionelle Strukturen entstanden, von denen die Nationalmannschaft weiter profitieren wird. Es mag sein, dass der Eindruck entsteht, Löws Elitekicker könnten nicht gewinnen. Es fehlt tatsächlich der Nachweis der Reife, aber dafür hat das Nationalteam noch viel Zeit. Sie müssen es einfach immer wieder versuchen. Bei der WM 2014 in Brasilien, bei der EM 2016 in Frankreich. Es entspricht der Realität, wenn Löw von einer jungen entwicklungsfähigen Mannschaft spricht, die Perspektiven hat. Die EM war eine Etappe. Mehr nicht.
Richtig tragisch ist diese Niederlage nur für Miroslav Klose, der traurig resümierte, viele Chancen auf einen Titelgewinn bekäme er nicht mehr. Den anderen gehört die Zukunft: Alle Feldspieler sind unter 30. Die Nationalspieler spielen mittlerweile für Real Madrid oder den FC Arsenal. Mit diesem Erfahrungsschatz hat die DFB-Elf 15 Pflichtspiele in Folge gewonnen. Ein Weltrekord. Nur weil das 16. Spiel in die Binsen ging, muss nicht alles schlecht sein. Im Gegenteil. Joachim Löw ist der Garant für mittel- und langfristige Erfolge. MARKUS VÖLKER
Systemtreue essen Seele auf
Das Fazit von Joachim Löw kam einem irgendwie bekannt vor. „Die Mannschaft hat sich hervorragend entwickelt“, erklärte er am Donnerstagabend nach der Halbfinalniederlage gegen Italien. Ähnliches hat er bereits nach der EM 2008 und der WM 2010 gesagt. Und er hat ja recht. Trotz erschwerter Bedingungen (Favoritenbürde) hat die Mannschaft dieses Mal noch einen Tick besser funktioniert. Das Ergebnis blieb allerdings wieder ernüchternd.
Auf der Suche nach neuen Wachstumspotenzialen wäre es im Sinne des Löw’schen Entwicklungsdenkens unabdingbar, nun mit einem Trainerwechsel neue Impulse zu setzen. Die Partie gegen Italien offenbarte deutlich, dass das Team Ressourcen hat, die nahezu unerschlossen sind. Mit seinen personellen Wechselspielen demonstrierte Löw während der EM fast schon aufreizend, für wie austauschbar er die Bestandteile seines Teams hält.
Gewiss, spieltaktisch ist die deutsche Mannschaft nicht weit vom Optimum entfernt. Das bedeutet aber auch: Es gibt nicht mehr viel Luft nach oben. Doch ist diese Stärke zudem mit einer Schwäche verbunden. Die Seele des deutschen Spiels wird von der Systemtreue der Löw-Schüler erdrückt. Es fehlt die Unberechenbarkeit, die sich vor allem aus Leidenschaft speist.
Mit Enthusiasmus kann man gegen Teams bestehen, die über jahrelang erprobte ausgefeilte Verhaltensmuster auf dem Platz verfügen. Diese italienische Lektion ist für die Deutschen erst einmal schwer verdaulich. Aber sie sollten Konsequenzen daraus ziehen. Ansonsten dürfte ihnen auch bei der WM 2014 die sich verfestigende Überzeugung zu schaffen machen, dass die Deutschen in entscheidenden Momenten ja doch versagen. Es braucht einen Trainer, der die Basis von Löw mit neuen Ideen zu mehren versteht. JOHANNES KOPP
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