Pro und Contra Google Street View: Ein Land im Pixelrausch
Kein anderes Land spaltet der Internet-Geodienst Google Street View so wie Deutschland. Ist die öffentliche Empörung überzogen oder gerechtfertigt? Ein Pro und Contra.
PRO
W as für ein Bohei! Während es kaum jemanden anhebt, dass in Deutschland unser Leben, gefilmt von tausenden Videokameras (allein 3.000 an den Bahnhöfen), live im Überwachungsprogramm läuft, regen sich nun alle über das Standbild auf: Google Street View.
Da stehen sie nun unbeweglich im Internet, unsere Hütten und Paläste. Vor allem die Letzteren sind wohl ein Grund dafür, dass gegen Street View derart Sturm gelaufen wird. Politiker wie Thomas Oppermann, führender Innenexperte der Bundes-SPD, oder Monika Grütters, Vizechefin der Berliner CDU, die keinerlei Problem damit hatten, im Bundestag für eine sechsmonatige Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten zu stimmen oder die Online-Durchsuchung gutzufinden, blasen nun zum Sturmlauf. Und die Eigenheimbesitzer von Initiaven wie "Unser Lotharviertel" aus Düsseldorf tapern hinterher.
Es ist ein Klischee, dass Politiker per se zur Oberschicht gehören, und auch Hausbesitzer sind nicht per se reich. Aber es ist trotzdem auffällig, dass sich kein Schwein für Überwachung interessiert, wenn sie vermeintlich nur Kinderschänder, bärtige Terroristen und die Säuferclique vorm Aldi, Außenseiter also, trifft. Kaum fühlt sich die Mittelschicht aufwärts beobachtet, gibt es einen Volksaufstand.
Überwachung ist auch eine Herrschafts- und Machtfrage, die in der Regel von oben nach unten beantwortet wird, das ließ sich schon an der Selbstverständlichkeit ablesen, mit der das Management von Bahn und Lidl ihre Angestellten ausspionieren ließ.
Nun werden gutgläubige Menschen einwenden: Aber Google Street View macht den Deutschen endlich deutlich, was Überwachung anrichten kann, und dann werden sie künftig auch kritischer damit umgehen.
Es ist auch nichts dagegen zu sagen, wenn jemand sein Haus verpixeln lässt, und vielleicht sensibilisiert das tatsächlich ein paar Menschen für Überwachungsthemen.
Allein, mehr wird nicht passieren. Wirkungsmächtiger Protest geht in Deutschland von politisch relevanten Gruppen aus - ob nun bei Hartz IV oder Spionage. Die Anliegen, die vermeintlich nur Sache der Unterprivilegierten sind, werden auch weiterhin untergehen. DANIEL SCHULZ
CONTRA
Ich nutze Geodienste mit Begeisterung, schon vor Jahren habe ich mir über das Nasa-Programm World Wind die Niagarafälle angeschaut oder bin mit der italienischen Seite paginegialle.it virtuell durch die Straßen von Florenz geschlendert. Und trotzdem habe ich jetzt bei Google Street View online mein Veto eingelegt. Mein Wohnhaus soll nicht gezeigt werden. Ein Widerspruch? Meinetwegen.
Mein Nein zu Google Street View richtet sich nicht gegen den Dienst allein, sondern spiegelt ein allgemeines Unbehagen gegenüber Google wider. Der Weltkonzern ist ursprünglich mit dem Slogan "Don't be evil" angetreten. Mir kommt das inzwischen wie Orwell'scher Neusprech vor. Google war in den vergangenen Monaten mehrere Male ziemlich evil.
So wurde bekannt, dass die Google-Street-View-Autos nicht nur Straßen abfotografierten, sondern auch private Daten aus WLAN-Netzen mitschnitten. Ein Versehen, sagt Google. Ich glaube denen kein Wort. Denn dass dem Unternehmen der Datenschutz egal ist, hat es auch bei anderen Gelegenheiten bewiesen. Als es sein soziales Netzwerk Buzz startete, erstellte es automatisch aus dem Mail-Account eine Freundesliste. Jeder, der es wissen wollte, konnte also erfahren, wer mit wem in regem Mailkontakt steht. Auch das wurde erst nach heftigem Protest rückgängig gemacht - genau wie Google in Deutschland erst auf Druck von Datenschützern das Recht einräumte, noch vor dem Start des Street-View-Dienstes das Zeigen des eigenen Häuschens zu verhindern.
Wie weit sich Google von seinem ursprünglichen Leitspruch verabschiedet hat, zeigt ein denkwürdiger Satz des Unternehmenschefs Eric Schmidt: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun." Eine Privatsphäre gibt es in einem solchen Weltbild nicht mehr.
Noch unheimlicher wird der Satz, wenn man bedenkt, auf wie vielen Feldern Google inzwischen mitmischt: Suchmaschine, Videoplattform, Kartendienst, Onlinewerbung, Smartphones, Übersetzungsprogramm, elektronische Gesundheitsakte, Fotodienst, Browser - all das ist Google. WOLF SCHMIDT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken