Pro Reli-Volksentscheid gescheitert: Berlin bleibt gottlos

Die Ostberliner stimmen klar für Ethik als Pflichtfach. In Westberlin ist zwar die Mehrheit für den Religionsunterricht, aber auch dort ist die Wahlbeteiligung zu niedrig.

Bis zu 80 Prozent stimmten in den Ostbezirken gegen die Pro Reli-Initiative. Bild: dpa

BERLIN taz | "Man hätte es nicht zu träumen gewagt", lautete der meistgesagte Satz auf der Wahlparty des Bündnisses Pro Ethik am Sonntagabend in Berlin. Carola Bluhm, die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sagt ihn, ebenso Christian Gaebler von der SPD, Sanem Kleff von "Schule ohne Rassismus" und Werner Schultz vom Humanistischen Verband. Die hier feiern, haben gegen den Volksentscheid Pro Reli gekämpft, mit dem der Religionsunterricht an Berliner Schulen, bisher freiwilliges Zusatzfach, zum ordentlichen Lehrfach und zur Alternative zum bisherigen Pflichtfach Ethik erhoben werden sollte. Sie haben gekämpft und gewonnen: So deutlich, dass es sie selber überrascht.

Ein knappes Drittel der Berliner Wahlberechtigten ist dem Aufruf gefolgt, über eine Neuordnung des Religionsunterrichts zu entscheiden. Das Ergebnis ist allerdings nicht im Sinne der Pro-Reli-Erfinder: Weniger als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler stimmte für deren Vorschlag, Religion den Rang eines ordentlichen Schulfachs zu erteilen; 51,3 Prozent gaben ihre Stimme dem jetzigen Modell: Religionsunterricht bleibt demnach ein freiwilliges Fach, das von den Glaubensgemeinschaften selbst erteilt wird.

Das Berliner Modell, das sich von der Praxis der meisten anderen Bundesländer unterscheidet, geht auf den Bremer Klausel genannten Grundgesetzartikel 141 zurück, in dem die den Religionsunterricht betreffenden Traditionen einiger Länder Berücksichtigung fanden.

Vielleicht hatte die von der CDU und den Kirchen unterstützte Initiative Pro Reli mit ihrer Kampagne zu dick aufgetragen. "Es geht um die Freiheit" lautete deren Kernsatz, für den auf etlichen Großplakaten Prominente wie Günter Jauch warben: "Sagen Sie nicht, Sie hätten keine Wahl gehabt!"

Solch dramatische Rhetorik ging offenbar vor allem den Ostberlinern zu weit: In allen Ostbezirken lag die Anzahl der Nein-Stimmen bei über 70 Prozent, in einzelnen Wahllokalen bei weit über 80 Prozent. Westberlin allein dagegen hätte den Volksentscheid nicht mit Nein-Stimmen, dafür aber mit dem Quorum gekippt: Zwar lag die Zustimmung für Pro Reli in manchen Bezirken wie Spandau bei fast 70 Prozent. Mangels ausreichender Wahlbeteiligung wären die erforderlichen 25 Prozent Ja-Stimmen aller Wahlberechtigten aber auch hier nicht erreicht worden.

Nur aus Ost-West-Differenzen erklärt sich das Scheitern von Pro Reli aber nicht. Hätte die Kirche alle ihre Mitglieder für ihr Anliegen mobilisieren können, hätte sie Erfolg gehabt: 29 Prozent der erwachsenen Berliner gehören einer christlichen Kirche an. Zudem unterstützten der größte islamische Verband, die vom türkischen Religionsamt gesteuerte Ditib, und die Jüdische Gemeinde die Initiative.

Dass es den Religiösen dennoch nicht gelang, ihr Vorhaben durchzusetzen, lag an der Spaltung in den eigenen Reihen: Die Christen pro Ethik etwa, darunter Pfarrerinnen und Pfarrer, mochten sich mit dem kirchlichen "Meinungsdiktat" nicht abfinden. Die der Milli Görüs nahe stehende Islamische Föderation, die den freiwilligen Islamunterricht an Berlins Schulen erteilt, distanzierte sich, als klar wurde, dass ein Erfolg des Volksentscheids ihre Rolle schwächen würde.

Von "Spalten" und "Klüften" ist am Tag danach entsprechend viel die Rede. Doch wenn der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ermahnt, den Riss durch die Stadt nicht noch tiefer werden zu lassen, kann der sich entspannt zurücklehnen. Während die Kirchen ihren Einfluss offenbar überschätzt haben, darf sich der Senat in seiner Haltung bestätigt fühlen.

Von Anfang an hatten sich Wowereit und seine Senatorinnen und Senatoren eindeutig dafür ausgesprochen, dass Ethik ein Pflichtfach bleibt und Religion nur als freiwilliges Zusatzfach angeboten wird. Sogar mit eigenen Anzeigen hatten sie dafür geworben, was vom Berliner Oberverwaltungsgericht noch zwei Tage vor der Wahl für unzulässig erklärt wurde. Nun kann Wowereit jedes Nein als Stimme für seine Position werten. Es seien die Kirchen, die sich mit ihrer polarisierenden Kampagne für Pro Reli geschadet hätten, sagte er nach dem Volksentscheid. Ihm ganz sicher nicht.

ALKE WIERTH

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