Private Krankenversicherer: Kampf der Kassen
Private Krankenversicherungen fürchten um ihre Existenz und klagen in Karlsruhe gegen die Gesundheitsreform.
KARLSRUHE taz Die privaten Krankenkassen sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Fast die gesamte Branche - von der Allianz bis zum Marktführer DKV - hat beim Bundesverfassungsgericht gegen die Gesundheitsreform von 2007 geklagt. Die Kassen wehren sich vor allem dagegen, dass sie ab 2009 einen Basistarif anbieten müssen, bei dem sie niemand wegen gesundheitlicher Risiken ablehnen können. Am Mittwoch verhandelte das Gericht über acht Musterklagen.
In der privaten Krankenversicherung (PKV) können sich nur Selbständige, Beamte und gut verdienende Arbeitnehmer versichern. Sie erhalten dort bessere Versorgung, müssen dafür aber - solange sie jung und gesund sind - geringere Beiträge bezahlen. Im Alter können sich viele dann ihre Privatkasse nicht mehr leisten. Deshalb hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Kassen auf einen Basistarif mit Minimalleistungen verpflichtet, in den Privatversicherte wechseln können, wenn ihnen ihre Tarife zu teuer werden.
Außerdem versuchte Schmidt, den Wettbewerb innerhalb der PKV anzustacheln, indem Kassenwechsel erleichtert werden. "Bisher hatten die Kassen viel zu wenig Anreiz, ihre Kosten zu senken, weil die Versicherten faktisch keine Möglichkeit hatten, zu einer Konkurrenzkasse zu gehen", erklärte Schmidt am Mittwoch in Karlsruhe. Während die Altersrückstellungen bisher bei einem Kassenwechsel verloren gingen, können diese künftig mitgenommen werden - so werden die Tarife bei einer neuen Kasse überhaupt bezahlbar.
Die Privatkassen haben Angst, dass beide Maßnahmen zusammen ihr Geschäftsmodell untergraben. Der Basistarif sei nicht kostendeckend und müsse von den anderen Privatversicherten subventioniert werden. Deshalb stiegen die Beiträge und machten die Privatkassen unattraktiv. Durch den erleichterten Kassenwechsel würden sich zudem Gesunde bei den günstigsten Kassen sammeln, weshalb andere Unternehmen ihre Beiträge noch mehr anheben müssten. Günter Dibbern von der Victoria rechnet durch die Reformelemente mit Beitragssteigerungen um 50 Prozent in den nächsten Jahren. "Das gefährdet die Branche in ihrer Existenz."
Der Ökonom Bert Rürup fand die Ängste stark übertrieben. "Der Basistarif ist zu teuer, er wird keine große Wechselbewegung auslösen." Dadurch sei allenfalls mit Beitragssteigerungen von 1,2 Prozent zu rechnen. Da horchten die Richter auf. Außerdem kritisierte Rürup die Kassen dafür, dass sie ihm keinen Einblick in ihre Geschäftszahlen geben wollten.
Schlechte Chancen also für DKV, Allianz und Co? Die Versicherer hoffen weiter auf den Richter Ferdinand Kirchhof, der das Urteil federführend vorbereitet hat und als Freund der Privatkassen gilt. Die Entscheidung wird Anfang des nächsten Jahres verkündet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär