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Prinz Ohnefurcht

Eine Erinnerung an Wolfgang Harich  ■ Von Wolfgang Schivelbusch

Der 70jährige, der nach allem, was ihm widerfuhr, ein alter und gebrochener Mann hätte sein müssen, war nichts weniger als das. Kein größerer Gegensatz ist vorstellbar als der zwischen Wolfgang Harich und seinem unversöhnlichen Altersfeind Walter Janka, den die Zuchthausstrafe innerlich wie äußerlich zeichnete. Bei Harich keine Spur solcher Zerstörung. Bis zuletzt hatte seine Stimme ihren charakteristischen hellen, jugendlichen, fast kindlichen, zuweilen etwas krähenden Tonfall, der sich vergnüglich steigerte, wenn es um Imitationen wie das Ulbrichtsche Falsett ging.

Harich war der lebhafteste und witzigste aller intellektuellen Ulbricht-Imitatoren, die ich im Verlaufe einer Zeitzeugenbefragung kennenlernte. Zu dieser Stimme kamen die Augen. Sie taten, was Augen in schlechter Romanprosa dürfen: Sie strahlten und blitzten. Man meinte eher einen erfolgreichen spatzenschießenden und molchefangenden Jungen vor sich zu haben als einen Mann, der acht Jahre seines Lebens im Zuchthaus verbrachte. Wie bewahrt man sich solche Leichtigkeit des Lebens unter solchen Umständen?

Vor ein paar Jahren, in der Umbruchzeit 1989/90, erzählte man von Wolfgang Harich folgende Geschichte: In einer Berliner Abendgesellschaft, bei der auch Melvin Lasky Gast war, sei er auf diesen zugegangen und habe erklärt: Lasky habe ja nun den Kalten Krieg gewonnen, und er, Harich, gebe sich hiermit geschlagen. Die Anekdote ist wahrscheinlich ebenso authentisch wie die Ohrfeige, die der junge Wolfgang Harich 1946 auf eine frivole Theaterkritik über Käthe Dorsch von dieser verpaßt bekam, und wie das Gespräch, das er im Herbst 1956 mit dem russischen Botschafter Puschkin führte. In diesem Gespräch, nachzulesen in Harichs Erinnerungen („Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit“) weihte der Privatdozent der Philosophie den Botschafter in seine Pläne zum Sturz des Ulbricht-Regimes ein und erbat dessen Unterstützung, nicht ahnend, daß dieser Ulbricht längst unterrichtet hatte.

Die Jungenhaftigkeit, mit der Wolfgang Harich alle seine Unternehmungen betrieb, hat er sich bis zum Ende bewahrt. Er war zeit seines Lebens ein Mann, nein, ein Kind des Wortes, der Geste, der Literatur, des Theaters. Die Macht, von der er so viel, so vergnüglich und so geistreich reden – weniger schreiben – konnte und die ihn wohl auch wirklich faszinierte, war letztlich ein Mißverständnis. Auf ein Bonmot im ästhetisch richtigen – d.h. im realpolitisch stets falschen – Moment zu verzichten, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Erfolgte dann die Strafe, nahm er sie hin wie der Lausejunge die Ohrfeige: mit einer gewissen die Bedeutung der eigenen Tat bestätigenden Befriedigung.

Für eine künftige Psychogeschichte des deutschen Intellektuellen in der Periode des Übergangs von Nationalsozialismus zum Realsozialismus könnte Wolfgang Harich einmal eine interessante Fallstudie abgeben. Er stammte aus dem klassischen Bildungsbürgertum. Im Dritten Reich wuchs er in der ästhetisch-theatralischen Opposition, der einzigen, die möglich war, auf. Stichwort: Jürgen Fehling, sein großes Vorbild. Nach dem Krieg, als die politische Sphäre inexistent war, wurde das Theater, die Theaterkritik, sein Machtersatz. Im Ulbrichtschen Realsozialismus dann verwechselte er Theaterkritik und Machtkritik und überstand auf wunderbare Weise die Beschädigungen, die andere, wie Walter Janka, erlitten. Wolfgang Harich blieb sein Leben lang der Prinz, der unfähig war, das Fürchten zu lernen, und so etwas verzeihen viele nicht.

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