■ Princess Dianas Dienste bei der Herstellung eines zeitgemäßen königlichen Mythos und ihr „Scheitern“: Lob der Anpassung
„Noch nie haben wir eine so kunterbunte und so ungesittet sich aufführende Versammlung von Menschen gesehen“, schrieb erschüttert die Times nach der Beerdigung König Georg IV. im Jahr 1830. Die Trauergäste amüsierten sich, so gut es eben ging, der Nachfolger, William IV., schwatzte unaufhörlich und verließ die Zeremonie vor deren Ende. Die Monarchie führte sich schlecht auf und war entsprechend unbeliebt. Bis weit ins 19. Jahrhundert blühte die republikanische Agitation.
Wiederholt sich die Geschichte? Droht erneut das Königtum zusammenzubrechen, nur daß diesmal keine Queen Victoria bereitsteht, um ihm neuen Glanz, neue Dauer zu verleihen? Verlaufen die Fronten tatsächlich zwischen einer starren, in atavistischen Traditionen eingezwängten, gegenüber dem Alltagsleben der Menschen fühllosen Monarchie und einer modernen, jungen Frau, die die Rebellion gegen die Zustände mit ihrer Ausstoßung, mit ihrer Verfemung bezahlte?
Zunächst: Was heute als uralte Tradition des englischen Königshauses angesehen wird, ist eine Erfindung der spätviktorianischen Epoche, einschließlich Hochzeitsumzügen und Beerdigungsritualen. Der Historiker David Cannadine hat den Prozeß dieser Erfindung nachgezeichnet, in dessen Verlauf sich das bis heute gültige Bild der Monarchie befestigte. Der Hof schloß sich der Maxime des führenden Juristen der Epoche, Walter Begehot, an, der 1871 schrieb: „Unsichtbar sein heißt vergessen werden. Um ein Symbol zu sein, und zwar ein wirksames Symbol, muß man oft und lebendig gesehen werden.“ Victorias Regierungsjubiläen wurden deshalb zu gefeierten Massenveranstaltungen. Und die Nachfolger der Königin bis hin zu Elizabeth II. perfektionierten diese Spektakel der Identität, unterstützt von der Massenpresse und untermalt von lyrischer Begleitmusik des Staatssenders BBC.
Entgegen weitverbreiteten Auffassungen hat dabei das Königshaus eine ebenso phantasievolle wie wirksame Anpassungsstrategie an die veränderten, sprich verkleinerten Verhältnisse Britanniens entwickelt. Die Monarchie verhielt sich ostentativ neutral gegenüber den Parteien, sie wirkte „majestätisch und zugleich häuslich“ (Cannadine), die Aura der Rechtschaffenheit und Pflichterfüllung umgab sie. Gerade ihre politische Machtlosigkeit erlaubte es ihr, ihre symbolischen Funktionen auszuspielen. Es ist dieses „Image“ des Königshauses, das jetzt in die Krise geraten ist, nicht die Institution selbst. Ein neuer „Erfindungsschub“ muß her, um die öffentliche Enttäuschung zu verarbeiten, die sich an das „vorviktorianische“, eigentlich aber höchst moderne öffentlich-private Leben der Royals heftet.
In vormodernen Zeiten war der König König und die Herzogin Herzogin, daneben mochte er oder sie sein, was sie wollten. Der Ruhm, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, war ans Amt gebunden, nicht an die Person. Aber in bürgerlichen Zeiten ist die Herzogin, wie der Philosoph Rudolf Kassner in einer Studie über das 19. Jahrhundert treffend bemerkt hat, „nicht mehr um ihrer selbst willen da, sondern auch für den Bürger, der ihren Roman schreibt oder liest und vor allem auch gerne so leben möchte“. Der Konflikt zwischen den Verheißungen „des Lebens“ und den angeblich starren Konventionen des Hofes ist selbst ein bürgerliches Märchen, ein Alltagsmythos. „It was love, love, love alone, that caused King Edward to leave the throne“ – so besang Harry Belafonte nachträglich den (erzwungenen) Thronverzicht Edward VIII. im Jahr 1937.
Ein merkwürdiges Schauspiel, zwei gewitzte Damen in der Zeit über das Problem gebeugt zu sehen, ob Diana, Princess of Wales, nun mit ihrem Versuch gescheitert sei, ein modern-emanzipiertes Leben zu leben, oder ob dieses Scheitern sich nicht zu guter Letzt doch als Erfolg darstellt. Was als Kritik eines erbarmungslosen, im Königshaus verkörperten Patriarchats gedacht ist, erweist sich als Zulieferarbeit der Mythenproduktion. Wir sollen uns im Kampf der Prinzessin für ihr eigenes, authentisches Leben, in ihren Ausbruchsversuchen, vor allem aber in ihren Leiden wiedererkennen.
Wir sollen Charles, den mediokren Macho, hassen. Und ist es nicht eine kurze Strecke von dieser Märchenerzählung zur Apotheose Tony Blairs, der die Princess of Wales posthum zur „Prinzessin des Volkes“ verklärte?
Lady Diana, den Wettkampf der Rollstuhlfahrer eröffnend, Lady Diana, die den HIV-Infizierten die Hand gibt. Bedarf es übermäßiger Anstrengung, um in dieser Geste den uralten Mythos von den Heilungskräften des Monarchen kraft Handauflegens wiederzuentdecken? Und zeigt sich in diesen Bildern nicht gleichzeitig die Wirksamkeit der modernen Alltagsmythen? Das Bild, das „Bedeutende“, schildert uns Lady Diana als fürsorglichen, vom Schicksal der Aidskranken bewegten Menschen. Das „zu Bedeutende“ aber, der latente Bildinhalt, informiert uns darüber, daß das Königshaus, vertreten durch die Princess of Wales, sich den Marginalisierten, den Ausgestoßenen zuwendet, denen, die zu Opfern der Thatcher- Revolution wurden.
Es ist der jetzt so verfluchte Thronfolger, der schon seit Jahren diese Erneuerung des öffentlichen Images der Krone betreibt. Zum Zorn jener Politiker, die an der „viktorianischen“ Bestimmung der Königswürde festhalten wollen, tritt er als Wertkonservativer gegen die Konservativen an. Er wettert gegen Naturzerstörung, gegen die Verschandelung der Städte, er setzt sich für arbeitslose Jugendliche ein. Mittels symbolisch aufgeladener, durchs Fernsehen allgegenwärtig gemachter Gesten erweitert er den Aktionsraum des Königtums. Neben die politische tritt der Versuch der symbolischen sozialen Integration.
Ob dieses Anpassungsmanöver gelingen wird, ist ungewiß. Die halbherzige, nur unter dem Druck der Öffentlickeit erfolgte Wiederaufnahme Lady Dianas in den Kreis der Royals einschließlich einer königlichen Beerdigung ist dafür unzureichend. Too little, too late. Lady Diana, die so erfolgreich der Modernisierung der Krone diente, hat unerreichbar und unwiderruflich im Olymp Platz genommen. Und der ist aus etwas anderem Material geschaffen als der, auf dem die Unsterblichen des Pop thronen. Von dort blickt sie herunter, ewig jung, ewig verschmerzt lächelnd, und ihr Blick ist voller Vorwurf gegen die undankbaren Royals. Dem Haus Windsor, wie es sich geschickterweise seit 1917 nennt, steht ein langer Winter des Mißvergnügens ins Haus. Christian Semler
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