piwik no script img

Prince Charles gegen Hochhäuser"Eiterbeulen" über London

In London boomt der Hochhausbau - zum Ärger von Prince Charles. Der hat zum Kampf gegen die Megalomanie aufgerufen und warnt vor "pockennarbiger Skyline".

Liebt das Landidyll: Prince Charles ist ein echter Naturbursche. Bild: ap

Prinz Charles ist kein großer Redner. Doch wenn sich Wut in ihm anstaut, beschenkt er die Briten gern mit grandiosen Zitaten. So verglich er Londons derzeitigen Hochhausboom vor ein paar Tagen mit "Eiterbeulen", die die historische Basis der Stadt auf Dauer unter einer "pockennarbigen Skyline" vergraben würden.

24 Jahre zuvor hatte Charles die Hochhausentwicklung schon einmal mit einer "Plage rasch wachsender Eiterbeutel" verglichen, worauf existierende Bauprojekte tatsächlich eingeschüchtert auf Eis gelegt wurden. Heute aber geht sein Schimpfen im Getöse unzähliger Betonmischer unter, denn trotz 9/11 wurden selten mehr hochtechnisierte Glaspaläste in die Wolken gejagt als in den vergangenen Jahren. In London hat die Hochhauslobby ihren Bürgermeister fest hinter sich, Ken Livingstone unterstützt die Planung eines Dutzends weiterer Glasriesen, darunter des 310 Meter hohen London Bridge Tower von Renzo Piano. Lord Richard Rogers, der auch als Livingstones Architekturberater fungiert, war auf Geschäftsreise in Korea, als der Prinz seine Zornesrede hielt, in der auch ein Rogers-Entwurf beklagt wurde. Rogers, einer der Stars der Hightech-Architektur, will nämlich neben das Swiss-Re-Gebäude von Lord Foster einen Glaskoloss aus 44 Stockwerken setzen.

Auch die Londoner selbst werden nicht viel daran ändern können, dass ihre Stadt in Zukunft aussehen wird, als seien überdimensionale Eiszapfen vom Himmel ins Zentrum gekracht, neben denen atmosphärische Plätze, kleine Gassen und verwitterte Kirchen immer mehr wirken wie mickriges Beiwerk. Und so demonstrieren die Londoner ihre Form der Verachtung, indem sie sich über die superlativen Formen lustig machen. Fosters Swiss-Re-Gebäude ist im Volksmund längst zur phallischen "Gurke" mutiert, und auch Rogers Entwurf wurde, noch vor seiner Realisierung, wegen seiner sich verjüngenden Form und der Rasterstruktur zur "Käsereibe" degradiert.

Auf der anderen Seite liegt bei einer begrenzten Baufläche wie in Londons überschaubarem Zentrum die Lösung in der Höhe natürlich auf der Hand. Nicht zuletzt, um die bestehende, historische Struktur zu bewahren. Bleibt also die Frage, ob die Dimensionen, die Höhen, in denen heute gebaut wird, wirklich noch etwas mit Effektivität zu tun haben. In einem von Männern dominierten Genre wie der Architektur geht es nicht zuletzt auch um irrationale Komponenten, um Imponiergehabe, Konkurrenzdenken und Eitelkeit. Fosters Büro, das London und die ganze Welt mit seiner Corporate Identity überzieht, baut jeweils nicht ein hohes, sondern immer gleich das höchste, das schwerste, das leichteste, das gedrehteste Gebäude.

Dieser Superlativwahn im Hochhausboom ist vermutlich Schuld daran, dass Kritiker in Entwürfen wie denen von Foster nur noch Testosteron-erfüllte Jungsträume sehen, wo architektonisches Viagra für die internationale Finanzelite produziert wird. Ob das London auf Dauer ästhetisch guttut, wird sich zeigen. Ginge es nach Prinz Charles, der 2001 die Foundation for the Built Environment gründete, würden jedenfalls sämtliche Hochhausburgen in London zukünftig durch romantische Cottages ersetzt, vor deren Wiesen sich kriminelle Jugendliche um Schafe statt um ihre Kampfhunde kümmern müssten.

JULIA GROSSE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!