Press-Schlag: Prima Nachmittag
■ Hertha schwant Böses, 1860 nicht
Die Anhänger schwenkten selig weißblaue Fahnen und applaudierten ihren Fußballhelden vom TSV 1860 München. Die Fußballhelden ließen sich dankbar feiern. Und die Reporter fragten, wie das alles so prima habe klappen können gegen die Hertha aus Berlin. Drei- eins gewonnen, juhu und hurra. Nach niveaufreier Vorführung. Trotzdem: prima Nachmittag. Zumal ausnahmsweise der Gegner die Spötter auf sich zog, weil Herthas seniler Aufsichtsratsvorsitzender Robert Schwan eigenmächtig die Entlassung von Coach Jürgen Röber ankündigte, Manager Dieter Hoeneß und die Mannschaft sich anschließend demonstrativ vor den Trainer stellten und gestern ausführlich bei Schwan in Kitzbühel getagt wurde (bis n. Red.schl.), während Röber in Berlin trainierte.
Hihi, mag sich da Löwen- Coach Werner Lorant gedacht haben, könnte mir nie passieren. Dessen innigster Bewunderer ist nämlich Präsident Karl- Heinz Wildmoser. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, daß Lorant sich für einen ganz tollen Strategen hält, obwohl sein Team ständig in akuter Versetzungsgefahr schwebt. Nach dem Hertha-Spiel etwa erklärte er: Seine Entscheidungen fielen ihm immer leicht, weil er stets überzeugt von ihnen sei. Daß der Klub noch längst nicht gerettet ist? Wurscht.
In Wirklichkeit spürt Lorant in dieser Saison seine Ohnmacht als Trainer. Auf Wildmosers Drängen hin mußte er den aufmüpfigen Manfred Schwabl verbannen. Er arbeitete wie in glücklicheren Zeiten, als er die Löwen von der Bayernliga in den Uefa-Cup führte, predigte simples Flügelspiel und versuchte Mißerfolge auszusitzen. Aber die Mannschaft wurde ihre Sorgen nicht los. Als sie vier Spieltage vor Schluß, nach dem 1:3 gegen die Bayern, schon wieder auf Rang 16 stand, muß Lorant endlich doch auch selbst bange geworden sein. Er wurde hektisch. Er tobte in der Presse gegen sein Team und erhöhte das Trainingspensum. Sein taktischer Kniff für das Hertha-Spiel bestand darin, die gleiche Elf aufzubieten, die bisher die einzigen drei Siege 1998 erreichte; mit der Änderung, daß Amateur- Torwart Michael Hofmann für den wenig fangsicheren Bernd Meier einsprang. Lorant wirkte wie ein hilfloser Unternehmer, der mit den letzten Mitteln die Pleite abzuwenden versucht.
Lorant gibt das natürlich nicht zu, wird das nie zugeben. Und am Ende wird es dann so sein: 1860 wird die Klasse halten. Die Anhänger werden selig ihre Fahnen schwenken, die Fußballhelden sich dankbar feiern lassen und die Reporter fragen, wie das doch noch so prima habe klappen können. Werner Lorant wird sagen, daß er immer alles im Griff hatte. Und das alles wird sehr unaufrichtig sein, weil ganz vergessen ist, daß das Saisonziel eigentlich Platz sieben war. Thomas Hahn
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