Presserechtler über Sachsensumpf-Prozess: "Hier soll ein Exempel statuiert werden"
Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, über den Prozess gegen zwei Journalisten, die im Fall Sachsensumpf recherchierten. Er sieht die freie Presse gefährdet. Urteil für heute erwartet.
taz: Herr Tillmanns, was halten Sie von dem Prozess am Dresdner Amtsgericht gegen die beiden Journalisten, die im Sachsensumpf recherchiert haben?
Lutz Tillmanns: Der ist schon sehr ungewöhnlich und stimmt kritisch. Man hat den Eindruck, dass ein Exempel statuiert werden sollte. Man wollte unliebsame Journalisten, die Missstände gerade auch in der Justiz aufdecken wollten, abstrafen. Da kommt einem natürlich die Funktion der Presse in den Sinn und man kriegt den Eindruck, dass da dagegen gehalten werden sollte.
Wie finden Sie denn die Artikel, die im Spiegel und auf Zeit-Online, erschienen sind?
Lutz Tillmanns, 53, ist seit dem Jahr 1992 Geschäftsführer des Deutschen Presserats und Rechtsanwalt. Zuvor war er stellvertretender Justiziar bei der Deutschen Welle in Köln. Seit dem Jahr 2002 ist er Lehrbeauftragter für Presserecht und Presseethik am Medieninstitut der Universität Mainz.
Ich habe die Beiträge nicht genau studiert, aber hier geht es ja auch nicht um die Verantwortung für das Ergebnis, das veröffentlicht wurde, sondern um vorher geleistete Recherchearbeit. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass der Spiegel wohl 6.500 Euro Strafe bezahlt hat für den eigenen Redakteur, aber das ist eine andere Sache, um die es in dem Prozess nicht geht. Sondern es geht um den Anteil von Recherchearbeit der Journalisten, der in das Ergebnis eingeflossen ist. Es ist auch eine Auseinandersetzung um Inhalte und es wird mit der dicken Keule gedroht.
Viel Kritik gab es für den Nebenkläger, ehemaliger Richter, weil er strafrechtlich und nicht presserechtlich gegen die beiden Journalisten vorging. Welchen Unterschied hätte es gemacht, wenn der Fall nach Presserecht geführt worden wäre?
Nach Presserecht wäre es darum gegangen, ob falsch gearbeitet wurde und ob Persönlichkeitsrechte verletzt worden sind. Da hätten ein Widerruf und Schadensersatzforderungen durchgesetzt werden können, aber nicht gegen die vorarbeitenden Rechercheure, sondern gegen den Verlag. Da sind zwei Rechercheure rausgezogen worden. Sie sollten diszipliniert werden. Aber auch über diesen konkreten Anlass hinaus zeigt dies natürlich die Gefahr für die freie Presse. Insbesondere für freie Journalisten ist das schwerwiegend, anders als für angestellte Redakteure, die einen Verlag hinter sich haben.
Welches Urteil erwarten Sie?
Ich habe immer noch die Zuversicht, dass das Gericht die Strategie der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers erkennt, eine kritische Schlussfolgerung zieht und den Prozess mit einem Freispruch beendet. Wenn nicht, sollten sie in die nächste Instanz gehen. Und dann geht der Fall hoffentlich irgendwann an ein nicht-sächsisches Gericht.
Sie empfinden den Prozess also nicht als fair?
Es ist schwierig aus der Distanz im Einzelnen nachzuvollziehen, aber hier ist die freie Presse gefährdet, das muss sich jede Staatsanwaltschaft und jedes Gericht überlegen.
Der Presserat ist in diesem Fall ja nicht zu Rate gezogen worden. Warum?
Das entzieht sich meiner Kenntnis. Es wäre aber auf jeden Fall eine denkbare Möglichkeit gewesen, beim Presserat Beschwerde einzureichen. Ich denke aber, dass man hier von Anfang an eine schwere Keule einsetzen wollte, strafrechtliches Vorgehen wirkt natürlich disziplinierender.
Zeugt das nicht auch von einer schwachen Position des Presserats?
Das sehe ich nicht so. Wir sind nie und werden auch nie als Ersatzes eines Strafgerichts auftreten. Wir sind ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle und wenn einem Betroffenen etwas daran liegt, Vorgänge überprüfen zu lassen und nicht gleich einen Graben zu schaffen, dann kann er bei uns Beschwerde einreichen.
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