Pressefreiheit in Polen: Die Grenze im Kopf
Seit die Regierung öffentlich-rechtliche Medien umbaut, haben polnische Journalisten Angst. Das verunsichert auch deutsche Redaktionen.
Es ist nicht lange her, da feierte der MDR seine polnischen Nachbarn und Kollegen noch. „Zehn Jahre nach dem Beitritt Polens in die EU ist das Zusammenleben vor allem in der Grenzregion längst eine Selbstverständlichkeit“, erklärte der Direktor des MDR-Landesfunkhauses Sachsen, Sandro Viroli, im März 2014. Die Grenze spiele in den Köpfen keine Rolle mehr. „Dieser Entwicklung wollen wir auch in unseren Programmen Rechnung tragen.“
Viroli unterschrieb damals in Stettin einen Kooperationsvertrag mit den polnischen Regionalsendern TVP Wrocław und TVP Szczecin: Mitarbeiter und Beiträge sollten ausgetauscht, Radio- und Fernsehsendungen gemeinsam recherchiert, Themen abgesprochen und bei technischen Fragen Hilfe geleistet werden. Samstags läuft das Dreiländermagazin „Mensch Nachbar“ bei MDR 1 Radio Sachsen, Radio Wrocław und dem tschechischen Sender Český rozhlas Sever, die polnischen Kollegen liefern Material aus der Grenzregion für die MDR-Nachrichten.
Jetzt, gut fünf Monate nach dem Wahlsieg der nationalkonservativen PiS-Partei in Polen, spielt die Grenze in den Köpfen plötzlich doch wieder eine Rolle. Ende 2015 hat die neue Regierung ein Gesetz durch das polnische Unterhaus und den Senat gepeitscht, nach dem öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen künftig „nationale Kulturinstitute“ werden, an deren Spitze ein vom Schatzminister ernannter Chef steht. Die Regierung kann die Medien so direkt kontrollieren.
Wenn Sandro Viroli heute über die Kooperation mit den polnischen Kollegen spricht, klingt er verhalten. Beunruhigt schaue er auf die Medienreform. „Vor allem um die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen, mit denen wir seit über drei Jahren zusammenarbeiten, mache ich mir Sorgen.“
Diese Angst ist jetzt da
Wer in diesen Tagen mit polnischen Kolleginnen und Kollegen spricht, bekommt immer wieder Ähnliches zu hören: Ja, die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen seien schon immer ein politisches Instrument gewesen, Wechsel auf den Führungspositionen habe jede neue Regierung vorgenommen, aber so etwas wie jetzt habe es noch nie gegeben. So tief sei nie eingegriffen worden. Man habe früher keine Angst haben müssen, als normaler Redakteur entlassen zu werden. Diese Angst sei jetzt da.
Und diese Angst führt dazu, dass aus Gesprächen nicht direkt zitiert werden soll. Dass die Namen besser nicht erwähnt werden sollen. Gerade gegenüber deutschen Medien sollte man als polnischer Journalist besser die Klappe halten. Denn diese Regierung lese alles. Jedes Komma, heißt es.
Nach dem Auffliegen des NSU hieß es: nie wieder. Im sächsischen Freital scheint es dennoch zu passieren – eine rechte Terrorgruppe entsteht. Wie es so weit kommen konnte, lesen Sie in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 9./10. April. Außerdem: Warum der schwule iranische Schriftsteller Payam Feili in Israel Asyl beantragt. Und: Bierforscher Gunther Hirschfelder erklärt, warum wir noch immer am 500 Jahre alten Reinheitsgebot hängen. Am Kiosk, eKisok oder im praktischen Wochenendabo.
Willkommen in der Welt der „Nationalen Medien“. So nennt die PiS, mit Beata Szydło als Ministerpräsidentin alleinregierend, das, was sie mit ihrer Medienreform anstrebt.
Für Sandro Viroli ist das bislang noch kein Argument, die Kooperation aus Protest oder aus Angst um Zensur einzustellen. „Solange die Redaktionen frei berichten können, gibt es für uns kein Problem. Sollten unsere Beiträge von polnischer Seite aber nicht abgenommen werden, hat die Kooperation keinen Sinn mehr.“ Das sei jedoch bisher nicht vorgekommen.
Arte stoppt die Zusammenarbeit
Anders hatte sich Arte Ende Januar entschieden. Der deutsch-französische Sender stoppte die Zusammenarbeit mit dem Öffentlich-Rechtlichen in Polen. „Wir bedauern sehr, diese Entscheidung treffen zu müssen, da unserem Sender die Beziehung mit Polen besonders wichtig ist“, schrieben Peter Boudgoust, Präsident, und Anne Durupty, Vizepräsidentin von Arte, in einem Brief an den TVP-Intendanten Jacek Kurski. Doch so lange nicht sicher sei, „dass die Meinungsfreiheit, die redaktionelle Vielfalt sowie die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Polen gewährleistet sind“, werde die Kooperation ausgesetzt.
Sandro Viroli vom Landesfunkhaus Sachsen möchte die Arte-Entscheidung nicht kommentieren. Er verstehe seine Zusammenarbeit mit den polnischen Kollegen aber auch als „offene Tür“, als eine Möglichkeit für die polnischen Kollegen, sich frei zu äußern.
Ähnlich argumentierte auch die ARD-Vorsitzende und MDR-Intendantin Karola Wille bei ihrem Amtsantritt im Januar. Auch sie sei besorgt, halte die Zusammenarbeit aber weiter für wichtig – aus Verpflichtung gegenüber den Kollegen.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine polnische Regierung versucht, die Medien zu beschneiden. Jarosław Kaczyński, Chef der PiS, hatte schon 2006, als er während der ersten Regierungszeit seiner Partei Ministerpräsident war, versucht, die Medien umzubauen. Eine eilig durchgepeitschte Rundfunkreform wurde damals allerdings vom Verfassungsgericht kassiert.
Rundfunkrat quasi abgeschafft
Diesmal geht Kaczyńskis PiS anders vor. Erst hebelte die Partei das Verfassungsgericht aus. Dann wurde ein Gesetz nachgelegt, welches den Rundfunkrat quasi abgeschafft hat.
Und das in einem Land, in dem der Fernseher wichtiger ist als in vielen anderen Ländern. In kaum einem Land wird mehr ferngesehen als in Polen. Durchschnittlich 260 Minuten pro Tag sitzen jede und jeder in Polen im Jahr 2014 vor dem TV – fast eine Dreiviertelstunde mehr als in Deutschland. Laut Ofcom International Communications Market Report wird nur in Italien, Japan und den USA mehr Fernsehen geguckt. Dazu kommen fast 32 Stunden Radio, die in Polen durchschnittlich pro Woche genutzt werden. In keinem Land wird mehr Radio gehört.
Wer in Polen das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung. So einfach und plausibel scheint die Rechnung von Kaczyńskis PiS.
Und was macht die Opposition? Will die überhaupt eine andere Medienordnung als die PiS? Die polnischen JournalistInnen sind sich da nicht so sicher. Parteien wie die Bürgerplattform, die von 2007 bis 2015 mit Donald Tusk und Ewa Kopacz die MinisterpräsidentInnen stellte, glaubten doch, dass sie in knapp vier Jahren wieder dran seien – und dann selbst die Medien beeinflussen könnten.
Auch die PiS scheint mit ihrer Medienreform noch nicht fertig zu sein. Noch steht das „große Mediengesetz“ aus, das die Regierung bereits angekündigt hat. Nach dem sollen sich alle RedakteurInnen der öffentlich-rechtlichen Sender neu auf ihre Stellen bewerben müssen. Sollte das so kommen, will Sandro Viroli beobachten, wie sich die Partnerredaktionen dann verändern. Eine polnische Kollegin, die aus Protest gegen die Reform gekündigt hatte, beschäftigt der MDR bereits weiter als Freie.
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