Pressefotografie: Ein finsterer Flecken Erde
Der Hamburger Kunstverein will in der Ausstellung "Uns Hamburg" das Leben in der Hansestadt abbilden, indem er über 1.000 Pressefotos aus 60 Jahren zeigt. Alle diese Fotos stammen aus dem Archiv der "Bild"-Zeitung. Macht der Kunstverein Werbung für "Bild"?
Manche Mitglieder des Hamburger Kunstvereins sind sauer wegen dieser Ausstellung. Manche Kritiker auch. Die Ablehnung, auch in ihrer emotionalen Variante, ist sofort nachvollziehbar: Der Kunstverein hat ein Ausstellungskonzept umgesetzt, das nicht funktioniert und außerdem die Bild-Zeitung feiert. Alles Mögliche hätte man dem Kunstverein zugetraut, aber nicht, dass er sich der Bild-Zeitung an den Hals wirft. Und das tut er, auch wenn die Intention ein andere war.
Die Ausstellung heißt "Uns Hamburg" und die Idee war, historische Pressefotos aus den letzten 60 Jahren zu zeigen und damit einen zeitgeschichtlichen Blick auf das Leben in der Stadt zu werfen. Allerdings stammen die über 1.000 gezeigten Fotos allesamt aus dem Archiv der Bild-Zeitung, das die Ausstellungsmacher des Kunstvereins eigenhändig durchforstet haben.
Um sich nicht zu einer Werbefläche der Bild zu machen, haben die Ausstellungsmacher entschieden, die Schlagzeilen zu den Fotos weg zu lassen. Sehr häufig steht auf den Bildlegenden nur "Ohne Titel" und die Jahreszahl. Oder es steht da ein Schlagwort wie "Fall Savorra" und die Jahreszahl. Die Betrachter, so das Kalkül, sollen die Fotos losgelöst von ihrem Nachrichtenwert betrachten. Der dokumentarische Charakter, den Pressefotos nun mal haben, soll in den Hintergrund treten zugunsten des ästhetischen Wertes.
Das aber funktioniert nicht: Man steht vor den Bildern und fragt sich natürlich als erstes, was die Geschichte dazu war. Es gibt Fotos von Hafenstraßen-Demos oder von HSV-Spielern mit Meisterschale, die kann man einordnen. Aber es gibt auch etliche Wohnungsbrände, Unfälle und Verbrechensopfer, die kann man nicht einordnen. Die Pressefotos "ohne Titel" tun das, was unkommentierte Pressefotos immer tun: Sie sagen mehr als tausend Worte - also nichts.
Außerdem scheitert das Ausstellungskonzept natürlich an der Beschränkung auf Fotos eines einzigen Mediums. Bekannter Maßen ist die Bild-Zeitung nicht Hamburgs einziges Presseorgan und es gibt keinen Grund so zu tun, als wäre sie das. Zumal die Bildsprache der Bild keineswegs repräsentativ ist für Pressefotos, sondern im Gegenteil: sehr speziell. Der Kunstverein ergreift Partei: Er hat keine Ausstellung darüber gemacht, wie die Presse, sondern wie die Bild-Zeitung Hamburg sah.
Was die Ausstellungsmacher dabei geritten hat? Es sei der Wunsch gewesen, bis in die 1950er Jahre zurückgreifen zu können, sagte die Sprecherin des Kunstvereins. Außerdem seien die ausgestellten Fotos zum Teil neben der Bild auch in anderen Publikationen wie dem Stern oder dem Abendblatt erschienen. Und es ginge ja um die Fotos und nicht um die Berichte - siehe fehlende Begleittexte.
Die Ausstellung hätte Werbung für Bild sein können, wenn sie auf irgendeiner Ebene funktionieren würde. Wenn sie, wenn schon keine künstlerischen, dann zumindest ansehnliche Bilder zeigen würde. Aber das tut sie auch nicht. Studieren lässt sich dagegen, wie sich die Thematik der Bild-Zeitung 60 lange Jahre auf die Themen Sex, Gewalt, Verwahrlosung, Verbrechen und Unfall beschränkt hat.
Aus dem Blickwinkel von Bild ist Hamburg ein finsterer Flecken Erde. Zum Finsteren dazu kommt der Voyeurismus der Bilder: Da ist das kleine Mädchen, das 1969 mit Teddys im Arm aus einem brennenden Haus flieht. Da ist der Mensch, der am Balkon eines Hochhauses hängt, während über ihm schwarzer Rauch aus dem Gebäude dringt - man muss davon ausgehen, dass dieser Mann wenige Augenblicke, nachdem dieses Foto entstanden war, in die Tiefe fiel. Da ist der Kiez, auf dem ein Mann eine Frau verprügelt. Man ist durchaus froh, diese Ausstellung auch wieder zu verlassen.
Viele Fotos sind Schwarzweiß-Abzüge, auf denen die Bild-Redaktion den später gedruckten Ausschnitt mit roten Linien kennzeichnete. Das ist interessant: Das Foto als Ausschnitt aus der Welt reicht der Bild nicht - das sowieso Ausschnitthafte wird noch weiter beschnitten, um die gewünschte Botschaft zu akzentuieren. Es herrscht das Prinzip Verdichtung: Demonstranten, die auf Polizisten zurennen, sehen nach mehr aus, wenn man über ihnen den Himmel wegschneidet. Trauernde nach einem Unfall werden eindrucksvoller, wenn man sie nicht im Pulk zeigt, sondern Einzelpersonen rausgreift. Die Nähe des Anwalts zum Mandanten wird deutlicher, wenn man den einen Kopf dichter an den anderen montiert. Alles ganz simpel. Alles darauf bedacht, Realität zuzuspitzen.
Durch den Beschnitt schrumpft der Kontext. Gleichzeitig steigen die Möglichkeiten, das Abgebildete nach eigenem Gutdünken zu deuten. Auf diese Praxis aufmerksam zu machen, ist ein Verdienst der Ausstellung - auch wenn das ein offenbar unbeabsichtigter Nebeneffekt ist. Besonders schön: Die handschriftliche Anordnung eines Redakteurs auf einem Foto, das nach einem Unfall eine mit Kreide gezeichnete Silhouette zeigt. "Kreidestriche verstärken!", steht da am Bildrand.
Die Bild-Zeitung habe die Ausstellung nicht finanziell unterstützt, lediglich die Nutzung der Bilder sei kostenfrei, sagt die Sprecherin des Kunstvereins. Der Direktor des Kunstvereins, Florian Waldvogel, wird in einem Bericht über das Zusammenkommen der Ausstellung zitiert mit den Worten: "Zwei Wochen lang zwölf Stunden täglich an den Hängeregistern. Das waren ganz im Ernst die besten 14 Tage am Stück meines Lebens. Es gibt in diesem Archiv großartige Fotos und großartige Geschichten." Man hofft für Waldvogel, dass er das so nie gesagt hat. Dafür stehen die Chancen ganz gut: Das Zitat stammt aus der Bild.
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