: „Presse in Ossi-Hand“
Letzte Leipziger Montagsdemo wurde zur Anti-Springer-Kampagne/ 'Tageblatt‘ belagert ■ Von Carsten Heller
Leipzig. Der Platz vor der Oper gehörte vergangenen Montag wieder den Autos. Es wäre auch nicht nötig gewesen, ihn für wenige Hundert DemonstrantInnen zu reservieren, die sich zum vorläufigen Abschluß der Traditionsdemo versammelt hatten. Die TeilnehmerInnen machten auch nicht gerade einen besonders kämpferischen Eindruck.
Als sie schon gar nicht mehr damit rechneten, erlebten sie aber doch noch eine Überraschung. Jochen Lässig vom Bündnis 90 rief zu einer Kampagne gegen die Leipziger Springer-Presse auf. „Bestellen Sie sofort das 'Leipziger Tageblatt‘ ab. Tun Sie Gleiches, sobald das Profil der 'Leipziger Volkszeitung‘ sich ändert.“ Also begaben sich die DemonstrantInnen nicht auf den ausgetrampelten Weg über den Ring, sondern zur 'Tageblatt‘- Redaktion in der Leipziger Innenstadt.
Der Hintergrund der Aktion allerdings ist ernster zu nehmen. Der Springer-Konzern kontrolliert den Medienmarkt in Leipzig, nachdem ihm die Treuhand 50 Prozent der 'Leipziger Volkszeitung‘, mit einer Auflage von 400.000 Exemplaren die unangefochten größte Tageszeitung der Stadt, zusprach. Dazu 'Tageblatt‘ (Auflage 40.000) und 'Bild‘, damit läßt sich leben, auch wenn das Bundeskartellamt bereits formell gegen diese Vormachtstellung Einspruch erhob.
„Springer raus, Springer raus“, hörten die überraschten 'Tageblatt‘-RedakteurInnen. Heraus kam vorerst aber lediglich Lokalchef Albrecht Günther. Er mußte mit ansehen, wie eine Leiter herbeigeschafft und am Redaktionsgebäude ein Transparent befestigt wurde: „Presse gehört in Ossi- Hand, Springer ab nach Wessi- Land“. Einige mit DDR-Fahnen befrackte DemonstrantInnen setzten dem Journalisten arg zu. „Ihr seid alle Lügenschweine!“
Günther wollte solchen Vorwurf selbstverständlich nicht unwidersprochen hinnehmen. „Wer von Euch hat sich denn die Mühe gemacht und nachgelesen, was wir im Herbst 1989 geschrieben haben“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Die Überzeugungskraft seiner Wort jedoch war gleich Null. Diese Erfahrung mußten auch einige seiner Kollegen machen, die sich ebenfalls vor die Tür wagten, aber gar nicht erst zum Reden kamen.
Handeln war angesagt. Irgend jemand trieb einen Vierkantschlüssel auf, mit dem sich die Schaukästen öffnen ließen — die aktuelle 'Tageblatt‘-Ausgabe verwandelte sich in ein unansehnliches Häufchen verbranntes Papier.
Albrecht Günther blieb nur, an seinen Schreibtisch zurückzukehren und den DemonstrantInnen die Wahrheit zu schreiben: Axel Springer habe schon immer für die deutsche Einheit gekämpft und sich gegen jegliche Form des Totalitarismus gewandt. In der Redaktion des 'Leipziger Tageblattes‘ arbeite kein Wessi, und seine Zeitung sei kein Boulevardblatt, sondern weiterhin ihrem liberalen Grundgedanken treu geblieben. — Nur leider werden dies die DemonstrantInnen vermutlich gar nicht lesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen