Press-Schlag: Das Rad ist doch viel runder
NO SOCCERSie können sich abstrampeln, sie können sich beleidigen und ihre Jubiläumsrundfahrt feiern, doch niemand bemerkt es. Dennoch war der Giro d’Italia ganz großer Sport
Wesentlich spannender geht es nicht. Die besten Vier des Klassements des Giro d’Italia waren in den letzten Tagen nur weniger als eine Minute auseinander. Und das nach mehr als 90 Stunden reiner Fahrzeit und mehr als 3.500 Kilometer zurückgelegter Strecke. Am Ende entschied ein Einzelzeitfahren am gestrigen Sonntag (nach Redaktionsschluss).
Einmal mehr hat der Giro die großen Geschichten erzählt. Etwa die vom oft einsamen Kampf des niederländischen Kraftradsportlers Tom Dumoulin gegen das Beschleunigungsfeuerwerk der übrigen Weltelite. Geschichten vom Durchhalten, vom Zurückbleiben, vom Doch-nicht-besiegt-sein und von Verdauungsproblemen.
Als „Maulheld“ bezeichnete Titelverteidiger Vincenzo Nibali den Rivalen Dumoulin. Der hatte sich nämlich bitter beschwert, dass das Peloton nicht stoppte, als er einmal wegen Durchfalls in die Büsche musste. „Das Feld hält doch nicht an, nur wenn jemand mal ein persönliches Problem hat. Die richtige Ernährung gehört zu einer großen Rundfahrt mit zum Job“, belehrte Nibalis Coach Paolo Slongo das deutsche Team Sunweb.
Zwei Tage später mokierte sich Dumoulin, noch immer im Rosa Trikot, darüber, dass Nibali und Mitrivale Nairo Quintana ihm bei der Führungsarbeit nicht halfen und sogar ihre Podiumsplatzierungen riskierten, weil sie die im Klassement nachfolgenden Fahrer entkommen ließen. Nibali lieferte daraufhin einen längeren Beitrag über „Geschwätz“ und „Karma“ und schloss mit der Erläuterung: „Was man mit Worten macht, kann sich auf der Straße rächen.“ Dumoulin konterte spöttisch: „Ich ein Maulheld, ach so.“
Am Freitagmorgen schien wieder alles okay. „Dumoulin kam zu unserem Teamfahrzeug und hat sich entschuldigt“, erzählte Nibali-Trainer Slongo. Aber da war der nächste Schaden schon angerichtet. Von Dumoulins Team kamen Vorwürfe, dass Quintanas Movistar-Truppe ausgerechnet bei einer erneuten Toilettenpause des Niederländers das Tempo verschärft hatte.
Doch die Erregungskurve nahm ab wie die Darmperistaltik. Dumoulin hatte nämlich nicht einmal gemusst, und Movistar daraufhin beschleunigt. Der Mann in Rosa war lediglich schlecht positioniert und musste deshalb kämpfen. „Ein Anfängerfehler von mir, keine Vorwürfe an die anderen“, klärte er im Ziel auf.
Da aber war Dumoulin bereits sein Rosa Trikot los, seine Energiereserven waren aufgebraucht. Es hatte das zugeschlagen, was Nibali „Karma“ genannt hatte. Aufgegangen war sein Kalkül, Dumoulin keine einzige Pedalumdrehung Führungsarbeit abzunehmen. Zudem hatte die ungeschickte Kritik des Niederländers seine einander eher nicht freundlich gesinnten Rivalen zusammengeschweißt. Der Kolumbianer Quintana hatte es Nibali zunächst nicht verziehen, dass der sich ironisch über die langen Trainingsphasen in den Anden – und damit fern der üblichen Dopingkontrollen – geäußert hatte.
Messen lassen sich die Auswirkungen des Wortkrieges nicht, einen Einfluss auf das Rennen hatten sie dennoch. Und der Giro hatte zu seiner 100. Ausgabe noch die Subdisziplin Hahnenkampf im Programm. Großer Sport also. Tom Mustroph
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