Press-Schlag: Emotionsmenschen in der Warteschleife
FC BAYERNHoeneß ist da, aber das heißt noch lange nicht, dass alle Bayern-Probleme gelöst wären
Um den FC Bayern München steht es derzeit ziemlich schlecht. Kein Fußballverein, zumindest deutschlandweit, wird so brutal von den eigenen Mitgliedern abgestraft. Dies ausgerechnet noch einen Tag vor dem so wichtigen Spiel gegen Bayer Leverkusen. Quasi einstimmig votierten die rot-weiß bebrillten Stimmberechtigten bei der Jahreshauptversammlung am Freitagabend für einen spielsüchtigen Steuerhinterzieher, sie hievten ihn gar auf den Präsidentensessel. Jastimmen: fast 100 Prozent.
Ob das unverständlich ist? Allerdings! Welche Weltmarke – und das sind die 627 Millionen schweren Umsatzrekordbayern zweifellos – würde einen derart kriminellen Chef akzeptieren? Andererseits: Warum sollte das Fußballgeschäft so viel anders funktionieren als etwa die US-Wahl? Wie der President-elect versteht auch Hoeneß, was die Wähler wollen, speziell in einem Unterhaltungsbetrieb.
Der 64-Jährige bedient die emotionale Ebene wie kein anderer beim FC Bayern. Hoeneß, das ist die personifizierte Bayerngeschichte, eine erfolgreiche, eine romantische, eine, die so massiv verwertbare Anekdoten produziert, dass die Vermarktungsmenschen gar nichts hinzuerfinden müssen. Wenn jedenfalls Kalle Rummenigge zum Beispiel über Uli Hoeneß palavert, dann erzählt er gerne die 473. Version vom gemeinsamen Hotel-Doppelbett. „Der Uli“ und er, zwei Freunde aus den wilden Siebzigern, auf Auswärtsfahrten früher unter der Bettdecke vereint, heute (wieder) gemeinsam Strategen beim weltweit mitgliederstärksten Klub. Weitere Anekdoten existieren zuhauf, Hoeneß der Retter, Hoeneß der Gütige, Hoeneß der Heilige. Und jetzt auch noch: Hoeneß der Resozialisierte. Das klingt nach guten Geschichten, nach vermittelbaren vor allem.
Hoeneß’ persönliche Kleinkriege, ein lustvoll gepflegtes Hobby taugen sowieso zur stetigen Wiederaufführung. Grashoff, Lemke oder Daum seien stellvertretend für all jene genannt, die „der Uli“ mindestens so genüsslich verspeiste wie die hauseigenen Bratwürste. Natürlich immer zum Wohle des FC Bayern.
In der Sache zwar hart agierend, aber fair. Oder eben unfair. Auf jeden Fall immer laut und schrill. So wie der Fußball eben ist, wie ihn die Massen lieben, und wie ihn Hoeneß zu vermarkten schon immer beherrscht hat.
Jetzt ist die sogenannte Abteilung Attacke wieder da. Die Wirkungsmacht hat gelitten, doch Hoeneß plant bereits eine vollumfängliche Wiederherstellung. Vom Nordkorea-ähnlichen Wahlergebnis euphorisiert, meldete er sich mit markigen Sätzen in der Fußballrepublik zurück. Sätzen wie diesem: „Wir haben neben Dortmund einen zweiten Feind, den wir jetzt endlich wieder attackieren können.“ Oder diesem: „Die Fähigkeit, in einer klaren Sprache und Aussprache Probleme anzusprechen, ist nicht verloren gegangen, sie schläft nicht, sie ruht – und sie kann bei Bedarf jederzeit zurückkommen.“
Zack, das hat gesessen. Prompt schlagen die Bayern-Bubis ihre Leverkusener Kollegen am Samstagabend. Zwar ohne System und mit viel Durchgewurschtel, aber immerhin auch mit 2:1. Doch das mit der Feindschaft ging dann doch zu weit, weswegen sich Uli Hoeneß im Sportstudio des ZDF sehr selbstkritisch entschuldigte für diesen Giftpfeil, den er in Richtung von RB Leipzig gesandt hatte. Sollte die spielerische Krise trotz Hoeneß anhalten, haben die Bayern einen weiteren Emotionsmenschen in der Warteschleife: Franz Beckenbauer. Der Kaiser schläft nicht, er ruht nur, bei Bedarf kann er jederzeit zurückkommen. Für diese Geschichte gäbe es sogar ein 100-Prozent-Ergebnis.
David Joram
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