■ Press-Schlag: Advantage Emotion
„Der Geist ist willig, allein das Fleisch ist schwach“, postulierte einst ein großer Geist der deutschen Kultur, ein noch größerer widerlegte ihn im letzten Jahr endgültig. Seit Boris Becker über die Tennisplätze der Welt tobt, ist nichts mehr so, wie es vorher einmal war, und es geschehen Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit bislang nichts träumen ließ.
„Mental“ heißt das Zauberwort, mit dem Becker so verschwenderisch um sich warf, daß es schließlich sogar Eingang in den Sprachschatz von Amtsrichtern, Dorftrotteln und Bundeskanzlern fand, und jetzt bekam der Autovertreter aus Stralsund sogar von höchster psychologischer Stelle bestätigt, daß es sich bei ihm um einen echten Prototypen handelt. Boris Becker sei der Beweis, daß die Psyche den Körper zu herausragenden Leistungen befähigen könne, fand der amerikanische Populärwissenschaftler Roland Carlstedt heraus und setzte den Weltranglistenfünften an die erste Stelle seiner „Dell Computer Psycho- Weltrangliste“.
Ein Jahr lang beobachtete Carlstedt die besten Tennisspieler der Welt in Wettkampf und Training, nahm Computerauswertungen vor und vergab Punkte in zehn Kategorien, zu denen auch die ATP-Weltrangliste zählte. Vor allem Beckers Steigerung Ende letzten Jahres, die schließlich zum Gewinn der ATP-Weltmeisterschaft in Frankfurt führte, beeindruckte den Seelenanalytiker schwerst, und so setzte er ihn mit 71 Punkten auf Rang eins, dicht gefolgt von Michael Chang (70), an dem Carlstedt vor allem die strenge Religiosität imponierte, und Jim Courier (61). Während Chang in den Sparten „Motivation“ und „mentale Disziplin“ vorn lag, Goran Ivanisevic bei der „Lernfähigkeit“, siegte Becker gleich in sechs Kategorien: Entschlossenheit, Selbstbewußtsein, Konzentration, Tennis-Intelligenz, motorische Fertigkeiten und Emotion, ein anderes Wort für Zeter und Mordio.
Beim Turnier in Katar brauchte Becker vor rein männlichem Publikum – Frauen sind nicht zugelassen – seine psychische Pandorabüchse allerdings in den ersten Runden noch nicht zu öffnen. „Solides Tennis“ reichte ihm beim 7:6 (7:3), 6:2 gegen den Franzosen Stephane Simian zum Einzug ins Viertelfinale. Matti
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