■ Press-Schlag: Geständnisse aus dem Olympia-Tagebuch
Samstag, 12.2.: Ich hasse Rubi. Nein, ich hasse ihn nicht, aber ich verabscheue ihn. Denn er und seinesgleichen sind chauvinistisch, medaillenfixiert, frauenfeindlich und alles andere als politisch korrekt. Ich bin nicht wie Rubi. Mir geht keiner ab, wenn Deutschland gewinnt, ich sehne mich, ja, ich sehne mich nach einem friedvollen, vereinten Europa. Ich werde den Fernsehton abstellen, und meine eigenen Spiele genießen. Ich werden den Sportler achten und sein Sporteln. Niemals will ich nach Platz und Medaillen fragen. Die Nationalhymne verbitte ich mir. Mögen die Besseren gewinnen!
Sonntag, 13.2.: Die Besseren haben gewonnen. Prima. Ein Norweger den Eisschnellauf, ein US-Amerikaner die Abfahrt. Schliersee-Wasi ist auch irgendwie ins Ziel gekommen. Klasse, Markus!
Mittwoch, 16.2.: Die Norweger haben schon wieder gewonnen. Dies und das. Sympathische Menschen! Wie die sich freuen. In perfekter Harmonie mit sich und der Natur. Genau wie der rasende Feldwebel, der auch gesiegt hat. Bäriger Bursche. Egal, welchen Ausweis er unterm Rodelanzug trägt. Besonders rühren mich die slowakischen Eishockeyspieler an. So ein kleines Völkchen. So ein großer Einsatz!
Donnerstag, 17.2.: Sappradi! Wasi hat gewonnen, dieser Pfundskerl. Stille Freude bemächtigt sich meiner. Nicht weil er Deutscher ist – er ist ja eh Bayer –, sondern weil er so ein sympathischer Pfiffikus ist. Allein gegen den unmenschlichen Druck der gierenden Öffentlichkeit und der Bild-Zeitung und dann gewinnen und mehr noch, vergeben, vergessen und einen Exklusivvertrag abschließen – super!
Sonntag, 20.2.: Die Norweger gewinnen immer weiter. Leider ist mir zu Ohren gekommen, daß sie das recht überheblich macht und sie auf Schweden herabschauen, die gar nichts putzen. Pfui, das ist nicht sportlich. Übrigens gewinnen nicht uninteressanterweise auch die Schweizer nichts. Und – was noch viel besser ist – die vorlauten Österreicher!
Montag, 21.2.: Heute habe ich mir – einmal ist keinmal! – einen Blick auf den Medaillenspiegel gegönnt. Der gehört ja schon längst abgeschafft. Fördert nur in bedenklichster Weise Nationalismus und Rassenwahn. Wenn die unsympathische Ossi-Gurke nicht schon zum zweiten Mal Gold vergeigt hätte, säh's aber gar nicht so schlecht aus. Seltsam, meine Nase scheint zu wachsen. Sagt meine liebe Frau.
Dienstag, 22.2.: Hahahaha, dieser Japaner! Vergeigt den letzten Sprung und wir gewinnen das Ding noch. Ich sage bewußt in diesem Fall „wir“, denn drei Springer sind aus dem mir auch geistig nahen Schwarzwald – naja, und der Weißflog ist ja sowieso einer von uns. Leichter Ärger nur über den österreichischen Sprungrichter. ZDF- Roscher hat ganz recht: Dem Kerl sollte wirklich mal einer Bescheid stoßen! Ärgert sich nur, weil seine Deppen immer noch nix geputzt haben! Die Nase wächst weiter. Auch die Augen scheinen nach vorne zu drängen, als wollten sie herausquellen. Die Frau wird immer seltsamer. Ich ignorier's, weil's Wichtigeres im Leben gibt und lege mir Seitenscheitel und Rollkragenpullover zu.
Donnerstag, 24.2.: So sehr man sich müht, immer wieder schaffen es Leut', einem die Freude am sportlichen Ideal gründlich zu vergraulen. Diese Nordisch-Kombinierten! Zehnte von Zwölf! Wie stehen wir jetzt da? Wir sind doch keine Exoten. Freiheit statt Sozialismus! Leistung muß sich wieder lohnen! Meine Wut legt sich erst, als der ZDF-Interviewer rigoros durchgreift und den nach billigen Ausreden suchenden verantwortlichen Trainer noch im Stadion entläßt. Richtig so!
Freitag, 25.2.: Meine Alte ist gegangen. Schreit noch „elender Gaudimax“ und ist weg. Was soll's? Hihihi, wenn man, prust, Brustumfang und Körbchengröße von Tonya Harding (75B) in Strafsekunden umrechnet (3,31 Min.) und dann in Relation zum „künstlerischen Wert“ vom Seizinger-Hasen setzt (-1.000), ergibt sich zwangsläufig ein uneinholbarer Vorsprung von Frau Witts Kurven in der B-Test-Note.
Samstag, 26.2.: Mein Wärter kommt mit dem Essen. Fragt scheinheilig: „Alles klar, Herr, äh, Rubenbauer?“ Was ist klar? Nichts ist klar, solange ich in diese Jacke gezwängt bin und Bob Hoppe nicht das Gold geholt hat. Wird das reichen? Wie viele Medaillen haben wir? Wann wird die Hymne gespielt? Was machen die Weiberleut? Wo ist Behle? Warum ich? Warum jetzt? Peter Unfried
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