■ Press-Schlag: Bauern-Gambit
Seinen Bauern sagt er „adios“, denn Julio Granda aus Peru wird selbst einer. Lateinamerikas bester Schachspieler hat genug vom Spiel mit Königen, Damen, Läufern und Bauern. Er will sich in Zukunft nur noch der Landwirtschaft widmen. Das „peruanische Gambit“ des 27 Jahre alten Großmeisters brachte sogar Staatspräsident Alberto Fujimori trotz seiner Eheprobleme und der anstehenden Wahlen auf die Palme. Mit einer landesweiten Kampagne und Unterstützung aus dem Regierungspalast wollen zahlreiche Peruaner ihren Julio zum Weitermachen bewegen.
Im Vorjahr hatte Granda beim Turnier des Profi-Verbandes PCA in Groningen gleichauf mit Robert Hübner nur um einen halben Punkt das WM-Kandidatenturnier verpaßt. Danach verschwand er von der Bildfläche. Peruanische Sportreporter spürten ihn im Landesinnern auf einer kleinen Farm in der Nähe der Ortschaft Camana auf. „Ich habe keine Lust mehr. Es gibt für mich im Schach keine Anreize mehr“, sagte Granda und nahm die Arbeit auf dem Kartoffelacker wieder auf.
Diese Worte lösten in der mit Spitzensportlern nicht reich gesegneten Andenrepublik einen Sturm der Entrüstung aus: „Wir dürfen nicht zulassen, daß er aufhört. Wenn wir ihm nicht helfen, verlieren wir ein Genie“, sagte Camana-Bürgermeister Helmert Salmavides, der der Überredungskampagne vorsteht. Das Unterfangen ist allerdings schwierig. „Er betreibt den Kartoffelanbau mit so viel Begeisterung wie früher das Schachspiel“, meinte der Bürgermeister.
Granda, der aus einfachen Verhältnissen stammt, hatte bereits als 15jähriger in Peru keine Gegner mehr. Er wanderte nach Europa aus, schlug seine Zelte zuerst in Spanien und dann in Ungarn auf. Obwohl er in der Weltrangliste auf Platz 33 kletterte, floß das Geld nur spärlich. „In Europa wird man selbst als bester Lateinamerikaner kaum zu Turnieren eingeladen. Wenn Spanien etwas organisiert, werden Franzosen eingeladen. Deshalb muß Frankreich im Gegenzug Spanier einladen. Alles wird unter den Europäern ausgemacht“, beschwerte sich Granda. Lediglich durch eine kurze Romanze mit der ungarischen Spitzenspielerin Zsuzsa Polgar sorgte er für Aufmerksamkeit in der europäischen Szene.
Der Fall Granda beleuchtet auch die Misere des Sports in den meisten lateinamerikanischen Ländern. Dort, wo das Geld an allen Ecken und Enden fehlt, ist an eine gezielte Förderung nicht zu denken. Lediglich im Tennis und im Fußball, wo durch die Begeisterung der Massen genug Einnahmen erzielt werden, kann der Sport zur Lebensgrundlage werden. Schachspieler Granda schläft dagegen weiter in seiner Farm in Camana unter freiem Himmel, „um meine Kartoffeln zu bewachen“, und träumt von einer guten Ernte. Emilio Rappold (dpa)
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