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Press-SchlagRinger und Widerstandskämpfer

■ Werner Seelenbinder wurde vor fünfzig Jahren hingerichtet

In der DDR wurde der Ringer Werner Seelenbinder wie kaum ein anderer Sportler glorifiziert. Unzählige Straßen, Plätze und Sportstätten erhielten seinen Namen. Spielfilme und Romane waren dem sozialistischen Vorzeigeathleten gewidmet. In der Bundesrepublik hingegen wurde Seelenbinder totgeschwiegen. Seine Grabstätte im Westberliner Bezirk Neukölln verschwand hinter Hecken und geriet bis in die achtziger Jahre in Vergessenheit. Wer also war Werner Seelenbinder, dieser Sportler, an dem sich die Erinnerungen so stark entzweiten?

Werner Seelenbinder wurde am 2. August 1904 in Stettin geboren. Seinen Vater, ein gelernter Maurer, zog 1910 die rege Bautätigkeit in der damaligen Reichshauptstadt ins ferne Berlin. Die Mutter starb 1915, und als der Vater ein Jahr später für Kaiser und Vaterland in den Krieg ziehen mußte, waren der zwölfjährige Werner und seine beiden Geschwister gezwungen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Nach der Rückkehr aus dem Krieg faßte der Vater nie mehr richtig Tritt und Sohn Werner verdingte sich weiterhin in den verschiedensten Jobs.

Schon 1917 war Werner Seelenbinder einem Arbeitersportverein beigetreten, ab 1921 begann er ernsthaft mit dem Ringen. Schon bald stellten sich erste Erfolge ein, 1922 bis 1925 holte er sich jeweils die Berliner Meisterschaft des Arbeitersports. Internationale Titel folgten. So siegte er unter anderem bei der 1. Internationalen Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt am Main und 1928 bei der Spartakiade der Roten Sport- Internationalen in Moskau, der kommunistischen Gegenveranstaltung zu den Olympischen Spielen in Amsterdam.

Die Eindrücke, die Werner Seelenbinder bei der Reise in die Sowjetunion gewann, führten ihn im Dezember 1928 zur KPD. Als die Nationalsozialisten 1933 die Arbeitersportbewegung zerschlugen und viele dort aktive Sportler verhafteten, wurde auch Seelenbinder kurzzeitig in Haft genommen. Wieder freigelassen, schloß er sich einem bürgerlichen Sportverein an. Bewußt integrierte die NS-Sportführung damals einzelne Arbeitersportler in den nationalsozialistischen Sport – einerseits, um deren Leistungsvermögen zu Propagandazwecken auszunutzen. Andererseits sollte dem Sport durch diese Maßnahme die Polarisierung genommen werden, ein entpolitisierter Bereich sollte entstehen.

Viele Genossen sahen in Seelenbinders Arrangement mit den Nazis Verrat an der gemeinsamen Sache, doch dieser nutzte seinen Status als Spitzensportler zur geheimen Arbeit für den kommunistischen Widerstand. 1933 gewann er seine erste offizielle deutsche Meisterschaft. Anschließend wurde er für mehrere Monate gesperrt. Bei der Siegerehrung hatte er den „Hitler-Gruß“ verweigert, weil er mit beiden Händen den schweren Siegerpokal umklammern mußte, wie er zu seiner Entlastung erklärte. Nach dem Ende der Sperre folgten bis 1941 fünf weitere Meistertitel.

Den von der NS-Sportführung erhofften Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin schaffte Werner Seelenbinder hingegen nicht. Durch Verhaftungen in seinem Umfeld verunsichert, verlor er gleich in der ersten Runde gegen den Letten Bietags und erreichte am Ende nur Platz vier. „Der rote Hund will bloß nicht“, rief es beim Bietags-Kampf aus dem Publikum. Anschließend weigerte sich Seelenbinder wegen „Unpäßlichkeit“, zum Empfang der Olympiakämpfer in die Reichskanzlei zu kommen. Endgültig in Ungnade gefallen, gelang es ihm dennoch, in den folgenden Jahren an weiteren internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Diese nutzte er für umfangreiche Kurierdienste des antifaschistischen Widerstands.

Im Februar 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet, weil er einen Widerständler in seiner Wohnung beherbergt hatte. Nach zweieinhalbjähriger Haft, in der er heftiger Folter ausgesetzt war, verurteilte der „Volksgerichtshof“ ihn am 5. September 1944 zum Tode. Am 24. Oktober 1944 wurde Werner Seelenbinder im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Andreas Pfahlsberger

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