Press-Schlag: Feinde fürs Leben
■ Holländische und deutsche Fußballfans wagen vagen Annäherungsversuch
Mannshoch steht das Grafitti auf einer Hauswand zu lesen, unübersehbar für jeden, der von der Autobahn aus nach Bremen hineinfährt: „Fuck Feyenoord!“ Der Schriftzug wurde dort im November letzten Jahres aufgesprüht, um die Anhänger des holländischen Pokalsiegers aus Rotterdam in Bremen zu begrüßen. Es war ein Spiel, dessen Umstände einen weiteren Tiefpunkt im deutsch-niederländischen Verhältnis dokumentierten. „Ich mache seit neun Jahren Fan-Arbeit, aber das war das Abartigste, was ich bislang erlebt habe“, ist Manfred Rutkowski vom Bremer Fan-Projekt noch heute von der Gewaltbereitschaft der holländischen Hooligans entsetzt. Und sein Kollege Harald Klingebiel ergänzt: „Spätestens da mußte allen klar sein, daß etwas getan werden muß, wenn man solche Spiele weiter durchführen will.“
Wie kompliziert Besserungen allerdings in Gang zu setzen sind, gaben alle Beteiligten des ersten gemeinsamen Seminars von deutschen und niederländischen Fan-Arbeitern bereitwillig zu. Thomas Schneider von der Koordinationsstelle der Fan-Projekte sprach von einer „unheimlich vorsichtigen Annäherung“ über einem Zeitraum von vier Jahren, bevor man sich in dieser Woche endlich in Bremen treffen konnte. Und dort dachte sein niederländischer Kollege Illya Jongeneel aus Deventer zunächt einmal laut über seine eigene Haltung gegenüber Deutschen nach: „Um zu erklären, was ein Holländer gegen Deutsche hat, habe ich mich gefragt, ob ich solche Gefühle auch selbst habe.“ Und gab dann zu: „Ja, ich habe sie.“
Daß sich die Ressentiments gerade in Fußballstadien entladen, hat aus seiner Sicht mit dem Verlauf der Weltmeisterschaft 1974 zu tun: „Damals hatten wir erstmals ein Nationalprodukt, mit dem wir uns identifiziert haben: der ,totale Fußball‘ der Mannschaft um Cruyff.“ Käse, Holzschuhe und Windmühlen seien im niederländischen Selbstverständnis nur „primitive Produkte, die man Touristen anbietet, für die man sich in Wirklichkeit aber schämt“. Der „totale Fußball“, die Verwirklichung niederländischen Individualitäts- und Kreativitätsanspruchs, sei mit der 1:2-Niederlage im Finale „von den Deutschen kaputtgemacht worden“. Erst 1988, mit dem Halbfinal-Sieg gegen Deutschland und dem dann folgenden EM-Titel, hätte man sein Nationalprodukt wieder zurückgewinnen können.
Der Fußballhistoriker Dietrich Schulze-Marmeling sprach im Zusammenhang mit deutsch-niederländischen Begegnungen von den „politisiertesten Fußballspielen“ in Europa, die inzwischen noch aufgeladener seien als Partien zwischen Irland und England. Was den Kern der Aversionen jenseits des Fußballs ausmacht, blieb aber nicht nur bei ihm etwas unklar. Schulze-Marmeling verwies auf eine deutsche Abneigung gegen den Handel, das vornehmliche niederländische Geschäftsfeld. Jongeneel holte weit in der Geschichte aus, um Mentalitätsunterschiede zwischen den Holländern, denen „individuelle Freiheit immer das Wichtigste“ gewesen sei, und den disziplinierten Deutschen zu belegen. Ganz Unrecht hatte Dieter Bott vom Fan-Projekt aus Duisburg nicht, als er sich darüber beschwerte, daß die Diskutanten in Bremen zu tief in das verstrickt seien, was sie eigentlich diskutieren wollten: „Wir sollten uns nicht re- ethnisieren lassen und immer noch ,wir Holländer‘ und ,wir Deutsche‘ sagen.“
Trotzdem waren beide Seiten geradezu erleichtert, miteinander ins Gespräch gekommen zu sein. Allerdings waren die Hoffnungen der Fan-Arbeiter auf Deeskalation eher schwach. Und das sowohl im Hinblick auf die Europapokalspiele zwischen Ajax und Bayern als auch auf kommende Länderspiele. „Natürlich muß man jetzt anfangen, aber es geht nur ganz klein. Ein kleiner Urlaub zusammen mit kleinen Gruppen von Fans aus beiden Ländern. Dann noch einer. Schritt für Schritt“, meint Illya Jongeneel. Er ist sich deshalb mit seinen deutschen Kollegen auch darin einig, daß die Partie zwischen den Niederlanden und Deutschland, die für den 27. März nächsten Jahres in Rotterdam als eine Art Freundschaftsshow verabredet wurde, nicht hilfreich sein wird: „Die Verbände stellen sich vor, daß man groß von Freundschaft spricht, und dann kommt es auch so. Wenn es so leicht ginge, wäre ich schon seit langem arbeitslos!“ Christoph Biermann
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