Press-Schlag: Die kleine Standpauke
■ Eine Wiener Eishockey-Impression
Meine Pension liegt in der Zieglergasse. Fast gegenüber gibt es eine Pizzeria, das „Il Mare“, und einhundert Meter weiter die „Konditorei Schotterfeld“. Ein seltsamer, weil eigentlich wenig einladender Name für eine Konditorei. Dennoch gehe ich fast jeden Tag ins „Schotterä“, wie ich es launigerweise bei mir getauft habe, und trinke einen großen Braunen. Was nichts anderes ist als ein großer Mokka mit Milch. Den bringt ein Herr Wolfgang.
Ein mittelgroßer, schlanker Mensch, der so um die Fünfzig sein dürfte. Er trägt eine Weste, Zuchhose und Koteletten. Herr Wolfgang ist sicher nicht die Krone des Wiener Obertums, aber er ist so etwas wie eine repräsentative Mischung aus den existenten Prototypen. Hier der sehr, also wirklich sehr freundliche Ober, da der andere, der offensichtlich nicht besonders gerne andere Leute bedient. Und sie das auch merken läßt. Herr Wolfgang pendelt so mittendrin. Mit der Zeit schien er mich nicht ungern kommen zu sehen. Jedenfalls lächelte er, wenn er mir meinen großen Braunen hinstellte, und wir wechselten das eine oder andere Wort über Wien und über Eishockey.
Dabei war er an Sport keineswegs sonderlich interessiert oder gar ein Fan. Er konnte sich nur eines gewissen Lokalpatriotismus nicht erwehren. Dafür schien er jenen Impuls, der den Österreicher dazu zwingt, wenn es irgendwie geht, einen kleinen, albernen Konkurrenzkampf gegen die „Deitsch'n“ auszutragen, gut unter Kontrolle zu haben. Nach der Niederlage Österreichs beließ er es bei einem kargen „I hob's eh g'wußt“, ohne auf die Quelle seiner Informationen einzugehen. Er stellte mir schmunzelnd meinen Braunen hin und war mir nicht gram. Wie schön. Ein Mensch, der die Bedeutung von Sport, Sieg und Niederlage zu relativieren wußte.
Darum dachte ich mir auch nichts, als ich am Tag nach der deutschen Niederlage gegen die Slowakei das Café betrat. Weil ich mich wie immer zuerst in eine Zeitung vertiefte, nahm ich den Herrn Wolfgang optisch gar nicht wahr. Sonst hätte ich vielleicht eine gewisse Strenge in seinem Blick bemerkt und wohl eine Art leichten Widerwillens geahnt, wie er jemand gebührt, der sich schlecht benommen hat. So hörte ich ihn, bevor ich ihn sah: „Bitte, däa Häa wünsch'n?“
Es wehte mich an wie ein sachter Eiseshauch, und ich sah erstaunt auf. Mein Herr Wolfgang wußte schließlich genau, was ich wünschte. Er hatte den Kopf etwas schiefgelegt, und ich tat wohl unwillkürlich desgleichen: „Einen Braunen ... wie immer ...“ Er legte den Schalter „Lächeln“ um, aber das Licht, das er sich bemüht hatte, anzuknipsen, schimmerte nur äußerst matt. „Bittesär. Sofoad.“ Ich beobachtete ihn über den Rand der Zeitung. Wie er, etwas rascher und etwas energischer auftretend als nötig, zum Büffett ging. Wie er meinen Kaffee orderte, wie er die Bestellung eines anderen Gastes ignorierte und sich wieder in Bewegung setzte. Wie er die Tasse mit Nachdruck auf mein Tischchen stellte, wie er die Fäuste in die Hüften stemmte: „Wissen's was, das hätt' ich nicht von Ihnen gedacht.“ Ich wich wohl etwas zurück: „Von mir?“
„Naa, von de Deitsch'n.“
„Bitte?“
„Daß die uns das anduhn. Mit de Slowakk'n.“
„Ach das. Ja, da haben sie ...“
„Wissen's was? Ganz Österreich wär' hinter euch g'stand'n, wenn ihr uns daß ärschbart hättet. Diesen Abschdieg.“
„Na, na. Noch ist es ja nicht soweit.“
Herr Wolfgang tippte sogar für einen Moment mit dem Zeigefinger auf mein Tischchen.
„Wann die unser'n obi miass'n. Dann seid's ihr schuld. Das verzeih'n mir eich nie.“
„Ich bitte Sie. So tragisch wäre das doch auch wieder nicht. Ist doch bloß ...“
„Ist doch bloß Schboat, oba so edwos dut man nicht.“
Er sah mich leicht vornübergebeugt an, wie ein zwar eigentlich wohlwollender, aber im Augenblick sehr enttäuschter Erziehungsberechtigter. Was blieb mir übrig, als zerknirscht zu nicken? Er nickte ebenfalls.
„So. Und jetzt trinken's Ihr'n Braunen. Wird eh kalt.“
Wir haben nie mehr ein Wort darüber verloren, aber sein „Dann seid's ihr schuld“, ist mir schon im Traum begegnet. Albert Hefele
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