Press-Schlag: Das Tor zu Gott
■ Wenn Fußballer sich bekreuzigen: Der Glaube erreicht die Bundesliga
Länderspiel in Zabrze. Ziege flankt, Bierhoff köpft. 1:0 für Deutschland. Wäre Klinsmann das Tor gelungen, er hätte kurz die Arme hochgerissen und sich danach artig bei Ziege für die Vorarbeit bedankt. Ein anderer wäre übermütig bäuchlings auf dem Rasen geschlittert oder hätte ein anderes dieser albernen Jubelrituale zelebriert. Was macht Bierhoff? Er bekreuzigt sich. Ein Bild, das dereinst nur von Lateinamerikanern oder Südeuropäern bekannt war.
Wie kommt ein deutscher Nationalspieler zu diesem Glaubensbekenntnis auf dem Rasen? Na gut, der Mann stürmt normalerweise in Italien, und das Länderspiel fand in Polen statt. Katholisches Milieu kann prägend sein. Vielleicht möchte sich Bierhoff nur ein bißchen Individualität in einem drögen DFB-Team erhalten, dessen Losung „die Mannschaft ist der Star“ lautet. Vielleicht steckt dahinter aber mehr, als der normale Fußballfan erahnen mag.
Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen“ oder „Mein Freund ist Ausländer“ hat der DFB längst gestartet. Erfolglos, wie der Stadionkrawall von Zabrze wieder bewiesen hat.
Verspricht sich DFB-Chef Braun, a.k.a. „Pater Egidius“ (!), von einer Missionierung im wahren Glauben etwa größeren Erfolg? Hat er im Bunde mit Berti Vogts die Kicker zu Botschaftern des Vatikans auserkoren? Fragen, über die zum jetzigen Zeitpunkt nur gemutmaßt werden kann. Fest steht nur: Oliver Bierhoff, der schon während der EM in England seinen Einwechslungen und Toren ein Kreuz folgen ließ, ist nicht der einzige.
Karl-Heinz Riedle und Heiko Herrlich waren sich am letzten Bundesliga-Spieltag nicht zu blöd, nach ihren Toren für Borussia Dortmund ein demonstratives Glaubensbekenntnis abzulegen. In der vergangenen Saison klappte es mit dem Toreschießen noch ohne anschließende Bekreuzigung.
Da Dortmund nicht gerade eine Hochburg des Protestantismus ist und der BVB von einem Mann gegründet wurde, der mit Vornamen Josef hieß, dürfte ein solches Verhalten auf dortige Zustimmung stoßen.
Ähnliche Voraussetzungen bietet Köln. In der Domstadt, dem Sitz eines Erzbischofs, hat Publikumsliebling Toni Polster für den FC neuerdings sein Herz Jesu wiederentdeckt. Auch er denkt wohl, daß sein Goalgetter-Schicksal am Segen der römischen Kirche hängt. Es sei ihm verziehen, der Mann ist Österreicher.
Dank ausländischer Hilfe ist auch der atheistische Osten im Begriff, neu bekehrt zu werden. Ausgerechnet ein Nigerianer zeigt den exzonalen Ungläubigen nach jedem Torerfolg, daß es mit der Heiligen Dreifaltigkeit etwas auf sich haben muß. Schließlich ist Jonathan Akpoborie zur Zeit der einzige bei Hansa Rostock, der Tore schießt. Bis zur Verpflichtung des Afrikaners galt der Katholizismus in Mecklenburg jahrhundertelang als unbekanntes Phänomen. Mit Ausnahme einiger Ermländer, die es dort nach 1945 vertrieben hatte, wollte niemand an den Papst glauben. Seit Akpoborie praktisch im Alleingang für Hansa die Punkte besorgt, stehen die Chancen für eine neue Gegenreformation nicht schlecht.
Die ungewohnte Präsenz bekennender Katholiken auf den Fußballpätzen der Republik kann kein Zufall sein. Bis vor einem Jahr hätte sich jeder Spieler der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn er sich im Stadion bekreuzigt hätte. In der Saison 96/97 gehört es fast zum guten Ton. Allem Anschein nach nützt der Heilige Stuhl die Ersatzreligion Fußball, um neue Anhänger zu gewinnen. Mausert sich der DFB zum kryptokatholischen Missionsorden? Steht der Bundesliga anstelle des Abstiegs- demnächst ein neuer Kulturkampf bevor? Man wird es weiter beobachten müssen. Spätestens, wenn Vogts unmotivierten Spielern statt Sondertraining drei Rosenkränze und fünf Ave-Marias verordnet, wissen wir Bescheid. Germo Robra
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