Press-Schlag: Irrer Wechselwahn
■ Wird Toni Polster VfB-Cheftrainer?
Immer wenn man meint, der Gipfel des Schwachsinns sei erreicht, geht es jedes Wochenende neu, doch noch ein Stückchen höher hinauf. Kaum sind Begriffe wie Hammer-Hit und Mega-Match fest etablierte Begriffe der Fernsehballerei geworden, wird mit „überirdisches Spiel“ (Sat.1 „ran“) oder „irrer Fünfkampf um die Tabellenspitze“ (Bild) weitergemacht. So als spielten schon Frogs gegen Aliens. Oder als sei es verwunderlich, daß nach schlappen sechs Spieltagen durchaus mehrere Teams sich um die Pole Position balgen. Aufgeblasener Unfug ohne Ende – man wendet sich ab mit Grausen.
Auch die Fans – die Stadien füllen sich nur noch mäßig, selbst Dortmund meldet ausgerechnet in der gigantösen Champions League leere Plätze. Es scheint, als habe das Markenprodukt Bundesliga, kaum als solches offiziell etabliert mit Hymne und Logo, seinen Zenit überschritten.
Früher haben sich die Vereine vor der Saison überlegt, mit welchem Personal man zu kicken gedenke. Jahrelang war Wechselschluß vor dem ersten Anstoß. Heute tauschen sie in absurder Hektik mit bizarrem Brimbamborium ihr Personal im Tagestakt. Scherr von Schalke nach Köln, Fach von Leverkusen nach Düsseldorf. Andere demissionieren, bevor es überhaupt losgeht. Namen? Man blättere nur in den längst veralteten Bundesliga-Vorschauheften: Papin, Sforza, Illgner, Bestschastnich, dazu Trainer wie Fringer. Immer neue Figuren werden hoffnungsbeladen aus allen möglichen Ecken des großen Balles herangekarrt, um dann als Ergänzungsspieler die Ersatzbänke zu wärmen. Verträge bedeuten nichts – Dundee bleibt bis 2003 in Karlsruhe? Selig, wer es glaubt.
Kaum geht ein Spiel verloren, folgt der Ruf nach neuen Stürmern – am Samstag brüllten Duisburgs Funkel und Bielefelds Stein am lautesten. Irgendwann kommt der Tag, da kickt einer in Halbzeit 1 groß auf und wird noch in der Pause vom Gegner verpflichtet und eingewechselt. Ein Künstler des Selbstbetrugs, wer sich als Fan da noch mit den Seinen zu identifizieren vermag.
Vollends nervig wird es, wenn über Wochen bestimmte Ballbeweger (Effenberg, Häßler) immer neue Gerüchte über spektakuläre Wechselwünsche anheizen. Oder als temporäre Bankdrücker herumjammern wie Borimirow oder Polster. Je länger das Gezeter dauert, desto toller treiben sie es. Derzeit läßt sich Joachim Löw von den Medien – Sat.1 voran – auf die Cheftrainerstelle hochquatschen. Ein Schwätzer wie Jörg Wontorra nennt solchen Hickhack „spannende Personalien mit hohem Erregungswert“.
Wenigstens die ARD hat ihren Fußballsachverstand behalten. Ohne Fußball. Zur alten Sportschau-Zeit laufen nun Cox und Franz Josef Wanninger. Überirrdisch gutes Zeug. -müll-
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