Press-Schlag: Das Ende der fetten Fußballjahre ist nah
■ Nach dem mageren 1:1 gegen Belgien ist lediglich die ferne Zukunft der Iren rosig
Früher haben die Iren auch keinen schönen Fußball gespielt. Aber wenigstens manchmal gewonnen. Mit ihrem „Kick and Rush“ – hohe Bälle nach vorne, und dort richten's der liebe Gott oder Tony Cascarino – waren sie überraschend erfolgreich: Sie qualifizierten sich für die EM 1988 in Deutschland und für die vergangenen beiden Weltmeisterschaften.
1998 in Frankreich müssen sie wohl zuschauen. Nachdem die Mannschaft am Mittwoch im ersten Relegationsspiel gegen Belgien mit Ach und Krach ein 1:1 erkämpfte, müßte beim Rückspiel am 15. November in Brüssel schon ein Wunder geschehen. Hätte Mr.-Bean-Doppelgänger Denis Irwin von Manchester United nicht nach sieben Minuten einen Freistoß ins Tor gezirkelt, und hätte Torwart Shay Given von den Blackburn Rovers nicht die unhaltbarsten Bälle gehalten, dann könnten sich die Iren die Fahrt nach Brüssel von vornherein sparen.
Erstaunlicherweise sind Spieler und Trainer überaus optimistisch. Dieses Spiel habe „vier Halbzeiten“, war nach dem Dubliner Match zu hören, und auswärts spiele man sowieso besser als daheim. Als Beweis dienen ausgerechnet die grottenschlechten Begegnungen mit Island, das man auswärts mit Hängen und Würgen besiegte, während zu Hause nur ein Unentschieden herausgesprungen war. Leider ist Belgien nicht Island.
„Ein 1:1-Unentschieden ist das schlimmstmögliche Ergebnis, weil die Belgier wissen, daß ihnen ein 0:0 zu Hause reicht“, sagte Jack Charlton gestern. Und der muß es wissen. Der englische Weltmeister von 1966 hatte Mitte der achtziger Jahre das Traineramt in Irland übernommen und den Fußball, der bis dahin als „barbarische englische Sportart“ galt, zu einer kurzen Blüte geführt. Unvergessener Höhepunkt war der 1:0-Sieg gegen England im Stuttgarter Neckarstadion 1988 bei der EM.
Vor knapp zwei Jahren warf man Charlton hinaus, der frühere Mannschaftskapitän Mick McCarthy wurde sein Nachfolger. Drei Spieler aus der Charlton-Ära sind noch immer dabei: Ray Houghton, Andy Townsend und Tony Cascarino. Inzwischen eilen sie mit Riesenschritten auf die 40 zu, lassen es auf dem Spielfeld dagegen gemächlicher angehen, gehören aber immer noch zu den Besten. Das sagt eigentlich schon alles.
Wie Charlton, der sich damals ein schlagkräftiges Team herbeinaturalisiert hatte, so durchforstet auch Mick McCarthy die Ahnentafeln der englischen Profispieler. Findet er ein irisches Großelternteil, dient er dem betreffenden Spieler das grüne Trikot an. Doch der Markt ist ziemlich abgegrast, zumal die anderen Trainer wachsam geworden sind und McCarthy bisweilen zuvorkommen. Manchmal hilft das Internet. Ein neunjähriger Fan von West Bromwich Albion – wie wird man so etwas bloß? – entdeckte beim Netzsurfen, daß Bromwichs Stürmer Mick Evans eine irische Oma hat. Das erzählte der Knabe seinem Vater, der Mick McCarthy informierte. Und der berief den 19jährigen in den Kader für das Spiel gegen Belgien. Im Training brach sich Evans jedoch den Wangenknochen. McCarthy mußte wieder Cascarino aufstellen, dem nur noch ein Tor zum besten irischen Torschützen aller Zeiten fehlt. Bis jetzt hat er neunzehnmal getroffen. Irland hatte noch nie besonders eindrucksvolle Stürmer.
So freute sich McCarthy vorgestern über „die wunderbare Nachricht“, daß Keith O'Neills Genesungsprozeß zufriedenstellend verläuft. Wer Keith O'Neill ist? Ein junger Stürmer, der für Norwich City manchmal ein Tor schießt. Für Irland hat er bisher genau eine halbe Stunde gespielt. Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen.
Auf Besserung ist in naher Zukunft nicht zu hoffen. Außer dem 21jährigen Torwart Given sind die Nachwuchsspieler durchschnittlich bis unfähig, in ihren englischen Heimatvereinen drücken sie meist die Ersatzbank. Houghton, Townsend und Cascarino gehen demnächst in Rente. Und Roy Keane, der herausragende Ire aus Manchester, ist stets verletzt oder gesperrt.
Die ferne Zukunft sieht dagegen rosiger aus. Bei den Juniorenweltmeisterschaften in Malaysia gewann Irland in diesem Jahr die Bronzemedaille. In zehn Jahren könnte Irland also wieder eine schlagkräftige Nationalmannschaft haben. Hoffentlich halten die Fans solange durch und wenden sich nicht vorzeitig von der barbarischen Sportart ab. Ralf Sotscheck
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