Press-Schlag: Kein Schwein guckt zu
■ Die Zukunftspläne der ATP könnten auch dem Frauentennis aus der Krise helfen
„Die ATP-WM sollte im Madison Square Garden stattfinden“, sagte der überzeugte New Yorker John McEnroe letzte Woche in Hannover. Vielleicht sollte er ja einfach mal beim New Yorker Masters der Frauen am von ihm genannten Ort vorbeischauen, wo am ersten Tag gerade 5.000 Menschen die Achtelfinalmatches sahen, und am Dienstag bloß 3.000 das Ausscheiden von Anke Huber gegen die Kroatin Iva Majoli. Angesichts dieser armseligen Kulisse wird möglicherweise selbst McEnroe einsehen, daß die ATP völlig richtig lag, als sie vor einigen Tagen beschloß, die WM ab 2000, wenn die Hannover-Jahre vorüber sind, nicht nach New York zu vergeben, sondern jedes Jahr an einen anderen Ort.
Der geringe Zuschauerzuspruch im Madison Square Garden verdeutlicht aber nicht nur, daß Tennis im US-Sport keine große Rolle spielt, sondern auch die prekäre Lage im Frauentennis. Die Schweizerin Martina Hingis dominiert unangefochten, Lindsay Davenport, der Weltranglistenzweiten aus den USA, fehlt Charisma, und die jungen Stars Anna Kournikowa oder Venus Williams konnten sich noch nicht für das Masters qualifizieren. Hinzu kommen die allgemeine Krise des Tennis, von der auch die Männer-Tour betroffen ist, und organisatorische Probleme. Für die aus dem Amt scheidende Chefin der WTA-Tour, Anne Person-Worcester, findet sich keine Nachfolgerin, und der unter großen Mühen an Land gezogene Sponsor Corel steigt schon wieder aus. Auch hier ist bisher kein Ersatz in Sicht. Stagnation, wo der Blick hinfällt.
Bei den Männern ist dies anders. In Hannover gab es am Rande der WM tagelange Sitzungen, in denen die ATP Ideen entwickelte, um den Tenniszirkus attraktiver zu gestalten. Heraus kam ein neues, übersichtlicheres Weltranglistensystem, bei dem vom Jahr 2000 an die Punkte im Laufe eines Kalenderjahres akkumuliert werden und jeder bei Null anfängt. Außerdem wurde eine Neugestaltung der Tour beschlossen, die sogar Vorschläge für die WTA enthält. ATP-Präsident Mark Miles schwebt eine von der ATP, der WTA, den Grand Slam-Veranstaltern und dem Internationalen Tennisverband (ITF) gestaltete Veranstaltungsserie vor, in deren Mittelpunkt neben den vier Grand Slams sieben große Turniere stehen, bei denen Männer und Frauen antreten. Am Ende soll es eine gemeinsame WM geben, der ungeliebte Grand Slam Cup würde schnöde von der Bildfläche verschwinden.
Der Clou der ATP-Planung ist, daß bei den sieben „Top Tier“-Turnieren alle Spieler, die durch ihren Weltranglistenplatz qualifiziert sind, auch antreten müssen. So wäre garantiert, daß die besten Tennisprofis, inklusive WM, zwölfmal aufeinandertreffen würden. Schwieriger wird die Situation für die zweite und dritte Garnitur, die kaum noch Chancen hat, bei Topturnieren an den Start zu gehen. Diesen Akteuren bleiben die 16 Veranstaltungen der zweiten Kategorie und die Turniere der „World Series“ genannten unteren Gruppe.
Brisant an dem Konzept ist, daß zwei der bisherigen Super-9-Turniere zurückgestuft werden, was vor allem in Hamburg für Aufregung sorgt. Als Standorte der Top-Tiers wurden von Mark Miles lediglich Indian Wells, Key Biscayne, Stuttgart und Paris-Bercy genannt. Dazu sollen zwei Sandplatzturniere in Europa vor den French Open und ein Hardcourt-Turnier im Sommer in den USA kommen. „Wir sehen der Entscheidung optimistisch entgegen“, sagt trotzig Günter Sanders, der Turnierdirektor am Rothenbaum.
Miles räumte ein, daß es mit der WTA zwar Diskussionen gegeben habe, aber noch keine Einigung. „Es ist eine Einladung“, sagt der ATP-Chef, „aber keine Einladung mit einer Pistole am Kopf.“ Dennoch wird der WTA, um aus dem Tief herauszukommen, wohl kaum etwas anderes übrigbleiben, als der Einladung zu folgen, was die Führungsspitze der WTA sehr wohl weiß. „Das Frauentennis ist in einer solch kritischen Lage“, sagt Vorstandsmitglied Sara Fornaciari, „daß wir eine Führungspersönlichkeit mit dem Wissen und der Weitsicht von Mark Miles brauchen, um zu wachsen.“ Matti Lieske
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