Press-Schlag: Hossa, hossa, hossa!
■ Macht der Aufstieg in die Zweite Liga aus Hannover einen etwas weniger öden Ort?
Gerhard Schröder, okay. Sonst noch wer? An wirklich prominenten Menschen hat die niedersächsische Landeshauptstadt nicht viele zu bieten. Es fallen einem, läßt man großherzig Wohlwollen walten, allenfalls noch eine treuhänderische Expo-Chefin, ein verfetteter „Wind-of-Change“-Sänger und ein toter Massenmörder ein.
Seit Sonntag, 22.58 Uhr, steht ein fünfter Name auf der Liste. Jörg Sievers, Torhüter bei Hannover 96, hat seinen Klub mit ein paar prächtigen Paraden zurückgebracht in den bezahlten Fußball. Im zweiten Relegationsduell der beiden Drittliga- Champs wehrte er gegen die nervösen Balltreter von Tennis Borussia Berlin im Elfmeterschießen zwei Strafstöße ab.
50.000 Zuschauer huldigten ihm darob mit ausdauernden Rufen seines Namens, 20 Mannschaftskameraden warfen ihn wieder und wieder in den nieseligen Himmel, ein sich mit vorgetäuschten Orgasmen über Wasser haltender Privatradio- Schreihals hieß ihn – Haarmann läßt grüßen – „den Killer“.
Der solcherart Belobigte konnte da gar nicht anders, als irgendwie staatstragendes Zeug zu faseln: „Das ist eine Mannschaft, auf die Hannover stolz sein kann.“ Immerhin etwas. Derartig gewaltige Gefühle beschleichen die Bewohner dieses unwirtlichen Häusermeers schließlich nicht jeden Tag. Der ihr von Harald Schmidt und anderen angedichtete Ruf eines öden Orts hängt der Stadt schwer in den Kleidern. Und sie tut alles, um ihn zu mehren.
Seit nämlich der Termin der Weltausstellung bedrohlich näher rückt, steht Hannover unter permanentem Rechtfertigungszwang: Seht her, was wir alles Dolles zustande bringen! Und so wird in einer kruden Mischung aus Event-Hörigkeit und Minderwertigkeitskomplex alles durcheinandergemengt: ATP-Tennis-Turniere und Guildo-Horn-“Punkte für Birmingham“-Verkündigung“, Erotikmessen und die Rolling Stones, Techno-Parade und eine Internationale Biermeile. Mancher Berufsoptimist glaubt gar, einen Hauch von New York in seiner Stadt wahrzunehmen. Dabei kommt man mit der U-Bahn nicht mal bis zum Flughafen.
Aber wen stört das schon groß nach diesem Sonntag? Die Rückkehr der 96er in die zweite Liga ist für Hannover von größerer Bedeutung als all die Scheußlichkeiten im Vorfeld der Expo. Gebeutelt von Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Häßlichkeit und Dauerbaustellen, sieht die Stadt wieder ein wenig Licht am Ende des Tunnels.
Asamoahs Kopfball-Hechter zum 1:0 war Labsal für all die von drittklassiger Dumpfheit Gepeinigten, Milovanovic' Fallrückzieher zum 2:0 eine kollektive Befreiung von der Pein permanenter Provinzialität. Und als Sievers dann, wie weiland 1992 im Pokalfinale gegen Gladbach, die von Akrapovic bzw. Copado getretenen Elfmeterbälle am Überschreiten der Torlinie hinderte – da entlud sich mit einem Mal die Verzweiflung einer Halbmillionen- Stadt in verzückte Glücksgesänge. „Fiesta Mexicana“ schallte es durch die (natürlich potthäßliche) Schüssel des Niedersachsenstadions, „We are the champions“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Kernige „Gilde“-Trinker brachten die Gefühlslage Stunden später in der U-Bahn dann auf den eigentlichen Punkt: „Nie mehr Herzlake!“
Genau das ist es, was Jörg Sievers mit seinen formidablen Fangkünsten bewerkstelligt hat: Er hat der Stadt ihre Würde zurückgegeben. Da kann Herr Schröder noch so landesvatern, Frau Breuel noch so schwadronieren, können die Scorpions noch so inbrünstig die Winde des Wechsels besingen – gegen Sievers sind alle kleine Fische.
Hannover 96 darf nach zwei Jahren ab August wieder gegen den 1. FC Köln und den Karlsruher SC statt gegen Eintracht Nordhorn spielen. Und damit übersteht man einen Kanzler aus Hannover und eine Expo in Hannover doch gleich viel besser. Holger Jenrich, Hannover
Aufstiegsrunde zur 2. Liga:
Siegen – Offenbach4:0
Offenbach – TeBe(31. Mai)
TeBe – Siegen(7. Juni)
(Der Sieger der Dreierrunde steigt neben Hannover auf)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen