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Press-SchlagFreund ist erledigt

■ Ein WM-Bankdrücker steht vor einem Karriereknick. Das lehrt die Geschichte

Wir werden ihnen ewig dankbar sein, den Jarnis und Stanić' und Šukers. Nicht nur, daß sie an jenem gepriesenen 4. Juli in Lyon die Deutschen ganz allerliebst verdroschen haben. Nein – sie haben uns gleichzeitig ein für alle Mal von den Stümpereien eines Steffen Freund befreit. In spätestens anderthalb Jahren wird selbiger einen Amateurligisten in den neuen Bundesländern spielertrainieren. Oder im Brandenburgischen einer schmierigen Broiler-Bude vorstehen. Oder sonst etwas Peinliches anstellen. Steffen Freund blieb bei der abgelaufenen WM der einzige deutsche Feldspieler ohne jeden Einsatz. Und seit es die Bundesliga gibt, wird solch ein Kunststück mit einem Karriereknick der übelsten Sorte bestraft.

Heinz Hornig zum Beispiel, kennen Sie den noch? Der Seitenscheitelträger war im Leibchen des 1. FC Köln über Jahre derart flink die linke Angriffsseite lang geflitzt, daß Helmut Schön bei seinem ersten WM- Auftritt 1966 nicht auf die Dienste des gelernten kaufmännischen Angestellten verzichten wollte. Sieben Länderspiele hatte Hornig bis zur Weltmeisterschaft in England absolvieren dürfen. Doch während des Turniers stand ihm der Dortmunder Emmerich im Weg. Keine einzige Minute durfte Hornig zum Gewinn der Vize- Weltmeisterschaft beitragen. Lustlos kickte er noch ein wenig in Köln, ging dann als Fußball- Rentner in die belgische Liga. Heute vertickt er Fanartikel der Kölner Geißböcke.

Peter Dietrich, erinnern Sie sich an den? In Gladbach gab der gebürtige Hesse derart forsch Netzers Rückenfreihalter und das fleißige Lieschen in einer Person, daß die Borussia 1970 prompt Deutscher Meister wurde. Helmut Schön belohnte den schweigsamen Schönling mit einem Länderspiel gegen Irland, nahm ihn mit zur WM nach Mexiko – und ließ ihn dortselbst bei 40 Grad im Schatten alle sechs Spiele auf der Bank schmoren. Dietrich versengte sich derart schwer das Hirn, daß er nie mehr im nationalen Hemd gesehen ward, für fünf klägliche Jahre zu Werder Bremen wechselte und, noch relativ jung an Jahren, zu Mutti und Vati respektive der Spielvereinigung Neu-Isenburg zurückkehrte.

Jupp Kappellmann. In Aachen und Köln zu einem vermeintlich Großen gereift, wechselte er zum FC Bayern. Prompt wurde er Meister, Europapokalsieger, Nationalspieler und WM-Fahrer 1974. Daß er beim Gewinn der WM im eigenen Land nur als Daumendrücker gebraucht wurde, verletzte den jungen Ehrgeizling derart, daß er auf fürchterliche Rache sann. Er verabschiedete sich mit zwei Zwölfminuteneinsätzen aus dem Nationalteam, bescherte dem FC Bayern etliche meisterschaftslose Jahre und stieg mit den Münchner Löwen in die 2. Liga ab. Dann wetzte der vom Techniker zum Treter mutierte Kapellmann ein letztes Mal sein Messer – und wurde Arzt beziehungsweise Skalpellmann.

Einen Nullminutenmann mit anschließendem Fall ins Bodenlose gibt es seither bei jeder WM. 1978 gab „Katsche“ Schwarzenbeck den Unglücksraben – nach der Rückkehr aus Argentinien wurde er erst Reservist, dann Sportinvalide und schließlich Lotto-Toto-Koryphäe. 1982 war der Kölner Stephan Engels an der Reihe – nach Spanien noch ein paar Länderspielminütchen, die unsägliche Platte „Fußballshow“ mit Paul Steiner, später das Debakel als Trainer des 1. FC Köln. 1986 Uwe Rahn (vom „Fußballer des Jahres“ in Gladbach zum „Abzocker des Jahrzehnts“ in Köln, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und Japan), 1990 Günter Hermann (ein Freundschaftsspiel-Einsatz kurz vor WM-Beginn, bald danach Zweitliga-Gerumpel bei Hannover 96 und Drittliga-Gehumpel heutzutage) und Maurizio Gaudino (kein Post-WM-Einsatz – dafür Autoschieberei- Verdacht, Flucht nach England, Mexiko, Schweiz, nun Gnadenbrot beim VfL Bochum) hießen die Kandidaten der letzten zwölf Jahre.

Nun also Steffen Freund. Berti hat sich für den Rackerer und gegen den Torjäger entschieden. Olaf Marschall wäre nämlich auch ein Kandidat für das Amt des Losers gewesen. Der aber durfte gegen Kroatien noch ein paar Minuten ran und wird deshalb auch in Zukunft für Pfälzer Teufelstore sorgen. Derweil sich Herr Freund schon mal umsehen sollte, wie's aussieht in der Oberliga Nordost. Denn man weiß nie, wann der Fall ins Bodenlose kommt. Nur daß er kommt, daß weiß man. Holger Jenrich

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