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Press-SchlagDer Pleitegeier kreist über den Stadien

■ Hoch verschuldet starten Argentiniens Fußballklubs heute in ihre neue Saison

Hätte das Evita Perón noch erleben müssen, die blonde Präsidentengattin wäre vermutlich in Tränen ausgebrochen. Ausgerechnet ihr Fußballverein Racing Club Buenos Aires, dem sie sich fanatisch verschrieben hatte, mußte vor kurzem den schweren Gang zum 16. Zivil- und Handelsgericht nach La Plata antreten und mit mehr als 62 Millionen Dollar Schulden Konkurs anmelden. Was Racing damit hinter sich hat, steht womöglich noch einigen argentinischen Clubs bevor. Von den 20 Profivereinen, die ab heute wieder in der ersten Liga nach dem Ball treten, stehen 18 bei Banken, Unternehmen und der Steuerbehörde ganz dick in der Kreide. Zusammen hat ihr Schuldenberg stattliche 226 Millionen Dollar erreicht.

Nachdem Racing bankrott ist, wird die Tabelle der Superschuldner von weiteren Traditionsvereinen angeführt. Auf Platz eins liegt jetzt der erfolgreichste Club Südamerikas der letzten Jahre, River Plate Buenos Aires, mit 30 Millionen Dollar Schulden, dicht gefolgt von César Luis Menottis Independiente (30 Millionen). Huracán aus Buenos Aires bringt es mit 16 Millionen immerhin noch auf Platz drei, und die Boca Juniors, an die Diego Maradona sein Herz verloren hat, stehen mit einem Loch von 13 Millionen Dollar in der Kasse wacker auf Rang vier.

Mißwirtschaft und Korruption haben im argentinischen Profifußball eine lange Tradition. Über die Vereine werden Steuern hinterzogen und Gelder gewaschen, die Gewinne aus Spielertransfers sackt nicht selten die Führungsriege persönlich ein. River Plate nahm in den vergangenen drei Jahren fast 40 Millionen Dollar durch Spielerverkäufe, Fernsehrechte und Werbung ein, doch die Gewinne verschwinden in schwarzen Löchern. Mitte der 80er Jahre ereilte den Erzrivalen Boca Juniors dasselbe Schicksal. Obwohl die Millionen aus Spielerverkäufen in Strömen in die Vereinskasse flossen, stand der Club kurz vor dem Ruin.

Das Geschäft mit Spielern ist für die argentinischen Clubs eine sichere Einnahmequelle. Auch im vergangenen Monat machten europäische Vereine Großeinkauf in der argentinischen Liga. Im Juli wurden 24 Transferverträge unterschrieben. Zu Real Mallorca, wo bereits der Nationalkeeper Carlos Roa das Tor hütet, zog es gleich drei Spieler von Lanus, einem Mittelklasseverein. Salamanca, wo schon drei Argentinier auflaufen, lieh sich den Stürmer Martin Cardetti ein Jahr lang von River, wofür der Club eine halbe Million Dollar erhält. Wenn sich Cardetti in Spanien zu benehmen weiß, sieht der Vertrag eine Übernahme des Spielers vor, was sich Salamanca fünf Millionen Dollar kosten lassen würde. Der Vizepräsident von Salamanca, Juan Antonio Hidalgo, schwärmt: „Argentinien hat exzellente Spieler, die nicht nur eine sehr gute Qualität haben, sondern auch einen speziellen Charakter, der sie einzigartig macht, wenn es darum geht, um wichtige Dinge zu kämpfen.“ Auch italienische Clubs deckten sich mit Argentiniern ein, den teuersten Umzug hat aber Marcelo Gallardo von River Plate vor sich. Newcastle United soll 15 Millionen Dollar für den Mittelfeldspieler geboten haben.

Da die Vereine trotz der riesigen Transfererlöse finanziell auf keinen grünen Zweig kommen, ist jetzt sogar der argentinische Justizminister Raúl Granillo Ocampo eingeschritten. Er zauberte eine Gesetzesvorlage aus dem Hut, wonach Sportvereine in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden sollen. Dagegen sträuben sich die Opposition im Parlament und einige Clubs. Von Emilio Chebel, Präsident von Lanus, kam ein klares Nein zur „Privatisierung“ des Fußballs. Sein Club stieg in den 70er Jahren in die dritte Liga ab, hatte damals drei Millionen Dollar Schulden und etliche Gerichtsverfahren anhängig. Doch der Verein raufte sich in den vergangenen zehn Jahren zusammen, stieg wieder in die erste Liga auf und renovierte sein Stadion. Heute zählt Lanus zu den zwei einzigen Clubs der ersten Liga, denen kein bedrohlicher Schuldenberg wie eine Eisenkugel am Bein hängt. Vereine die sich kaufen ließen, machten dagegen schlechte Erfahrungen.

Da Fußball in Argentinien heilig ist, scheint eine Bankrotterklärung wie die von Racing niemanden aus der Bahn zu werfen. So kommt es, daß Racing weiter mitspielen darf. Vor einer Entscheidung wie es weitergehen soll, muß sich das Gericht erst mal durch 200 Aktenordner mit Geldforderungen gegen den Club durchkämpfen. Und bis dahin dürfte die Meisterschaft gelaufen sein. Vermutlich wieder ohne Racing – der letzte Meistertitel liegt 32 Jahre zurück. Aber wenigstens der ehemalige Racing-Präsident Daniel Lalin, ein ehemaliges Mitglied der Stadtguerillagruppe Montoneros, der es inzwischen zu einem Millionenvermögen brachte, wird sich die Hände reiben. Er kann sich vielleicht schon bald einen Traum erfüllen und sich sein Racing unter den Nagel reißen. Ingo Malcher, Buenos Aires

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