piwik no script img

Press-SchlagLockruf der Veilchen

■ Zweitligist Tennis Borussia wirft mit 4:2 die „große“ Hertha aus dem DFB-Pokal

Wenn der Tag beginnt, die Sonne strahlt und mein Radio mir den Tag kunterbunt bemalt, steigt mein Verlangen, dir ganz nah zu sein.

In der Tat. Wenn draußen die nächtliche Düsternis langsam der täglichen weicht, wenn Kaffeeduft die Lebensgeister sacht, aber vergeblich zu wecken sucht, wenn das Radio einen kunterbunten Werbespot an den nächsten reiht und musikalische Abgefeimtheiten von sich gibt, die einen amoklaufen ließen, wenn man nur ein bißchen wacher wäre, ersteht plötzlich ein Gesicht vor dem halbgeschlossenen inneren Auge: Hermann „Tiger“ Gerland. Und schon ist man hellwach, denn jeder weiß: Dieser Mann verzeiht keine Sekunde der Trägheit. Und: Dieser Mann braucht uns.

Dann weiß ich genau, es ist soweit. Ich muß zu dir ins Stadion, ich nehm' mir die Zeit. Heut' heißt es fighten – da lass' ich dich nicht allein.

Wäre ja auch noch schöner. Tiger Gerland und seine tapferen Zweitligamannen von Tennis Borussia ganz allein gegen den übermächtigen Bundesligisten Hertha BSC und 40.000 blutrünstige Fans. So weit darf es nicht kommen.

Ich düse durch die Stadt von überall her, nur um dabeizusein. Tore, Punkte, Sieg, nur das ist, was zählt für meinen Verein. Lila-Weiß die Veilchen, Fußball und mehr, und ich bin dabei, ich steh' voll hinter dir.

Rund 6.000 TeBe-Anhänger waren am Mittwoch dem Lockruf der Veilchen gefolgt und bildeten einen tapferen Fanblock beim heimischen Auswärtsspiel ihres Teams im Achtelfinale des DFB-Pokals. Das Gros des Publikums mochte herthanisch gewesen sein, der Rahmen aber war eindeutig tennisborussisch. Mit geballter lila-weißer Präsenz und allerlei Manifestationen guter Laune versuchten der veranstaltende Klub und sein getreues Häuflein den numerischen Fanvorteil des Favoriten im mit knapp 40.000 Zuschauern eher enttäuschend besetzten Olympiastadion halbwegs wettzumachen.

Meine Stadt, das ist Berlin, ganz klar die Veilchen sind mein Team, wie das Leben sich gut anfühlt, wenn meine Mannschaft für mich spielt, bin dabei, kann's kaum glauben, drück' Borussia fest die Daumen, ich steh' voll hinter dir.

Kann man sich mehr wünschen als gerade aufgestiegener Zweitliga-Spitzenreiter, mit einem dubiosen, aber geldschweren Sponsor, der berüchtigten Göttinger Gruppe, im Rücken, die schon in der Amateurliga ein Millionenteam zusammenkaufte, das spielerisch, kämpferisch und läuferisch mit der ersten fußballerischen Garnitur des Landes mithalten soll und offenbar auch kann? Nun gut, ein paar mehr Fans dürften es schon sein, vor allem bei den Zweitligapartien im Mommsenstadion, und beim Einlaufen zum Heimspiel von Bewohnern der eigenen Stadt gellend ausgepfiffen zu werden, ist ebenfalls nicht gerade schön. Aber spätestens im Pokalfinale oder nächstes Jahr in der Bundesliga sollte auch das besser werden.

Da ist der Anpfiff, nichts hält mich auf, ich spiele, kämpfe, fighte, setz' noch einen drauf, diese Spannung – darum bin ich heut' hier.

Nie enthielt Dichtung mehr Wahrheit. Ein komisches Spiel war es, das im Olympiastadion ablief, aber ein mitreißend komisches. Hertha begann seltsamerweise tatsächlich wie eine Auswärtsmannschaft, ängstlich und passiv, während die Borussen-Stürmer an den behäbigen Herzogs und Rekdals vorbeiflitzten wie Joschka Fischer an den grünen Essentials. Schüsse, Chancen, Blitzkombinationen, TeBe wirbelte und wunderte sich, wie leicht alles ging. Es dauerte nicht lange, bis man jeder Aktion ansah, was die Spieler dachten: „Solche Flaschen, das wollen Erstligisten sein, die machen wir doch mit links fertig.“ Hoffart rächt sich, und folgerichtig stand es auf einmal 1:0 für Hertha.

Unsere Stadt, das ist Berlin, und, klar, TeBe ist unser Team, unsere Veilchen lila-weiß, müssen ganz nach oben, wie jeder weiß, wo die Fans, die jungen und alten, ihren Jungs die Treue halten.

Die Treue wurde auf eine harte Probe gestellt, denn der Schock saß tief, und statt nach oben zu streben, spielte Tennis Borussia zwanzig Minuten lang wie ein Zweitligist, ein schlechter zudem. „Was für Gurken. Erst ein bißchen Strohfeuer, dann nix mehr“, dachten die klar dominierenden und ihre vielen Chancen verschlampenden Herthaner. Hoffart rächt sich, und plötzlich stand es nach zwei dummen Ballverlusten im Hertha-Mittelfeld 2:1 für TeBe. „Wenn du das Spiel im Griff hast, muß die größere Klasse auschlaggebend sein“, schimpfte Hertha-Manager Dieter Hoeneß hinterher. Doch von größerer Klasse des Tabellenfünften der Bundesliga war in diesem Spiel nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil. Zwischen der 50. und 60. Minute spielte die kleine Borussia die „große Hertha“ (Gerland), die nur noch wild um sich foulte, in Grund und Boden, schoß zwei wunderschöne Tore, drei weitere wunderschöne unverständlicherweise nicht, und siegte trotz drückender Überlegenheit einer einfallslosen Hertha in der Schlußphase völlig verdient mit 4:2.

Für ein starkes Team, TeBe Berlin, wir stehen voll hinter dir – Tennis Borussia Berlin

„Jetzt kann jeder kommen, wenn es normal läuft, schlachten wir sie ab“, frohlockte TeBes überragender Spielmacher Copado. Genau die Reaktion, die Hermann Gerland so gar nicht verträgt. „Es ist eine leichte Grenze zur Überheblichkeit“, sagte der Trainer mysteriös und fügte drohend hinzu: „Ich werde den Spielern morgen schon Bescheid geben, wie es weitergeht.“ Weiter geht es am Montag mit Zweitliga-Alltag in Bielefeld, jenem Feld, auf dem die internationale Göttinger Tennis-Borussen-Gruppe beweisen muß, ob sie tatsächlich reif für die erste Liga ist.

Wenn der Tag beginnt, die Sonne strahlt, und mein Radio... Matti Lieske

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen