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■ Press-SchlagDie neue Weltordnung  Wer soll Deutscher Meister werden?

Mit der Verschiebung der sportlichen, finanziellen und emotionalen Ressourcen auf die Champions League als heimlich eingeführte Europa-Liga verliert der Titel im eigenen Land seinen Glanz, der samstägliche Adrenalin-Kick seine Schubkraft. Für unser bedenklich schwindendes Interesse gibt es indessen noch eine zweite Ursache. Es ist der unübersehbare Abschied von einem lieb gewonnenen institutionellen Feindbild: Der Bayern-Hass, verlässliches Grundinventar jeder Bundesliga-Saison, bröckelt. Es ist nichts mehr wie es war.

Schon in der vergangenen Saison erreichte die Intensität des Abscheus gegen Matthäus und Co nicht mehr das gewohnte Niveau. Noch wehrten wir uns allerdings gegen das Eingeständnis, dass Spieler wie Giovane Elber, Bixente Lizarazu, Hasan Salihamidzic, Mehmet Scholl oder Carsten Jancker im Grunde den attraktiveren Fußball spielen. Da der Hass ein „hartnäckig anhaftender Affekt“ (Freud) ist, und der Hasser voller Besessenheit in einem „röhrenförmig verengten Blickfeld“ agiert, konnten aufkeimende Objektivitätsimpulse gerade noch niedergerungen werden.

In dieser Saison mag dies nicht mehr gelingen. Stattdessen beobachten wir eine deutliche Portionierung unserer Missgunst. Eine neue Seelenlandschaft der Zerrissenheit tut sich auf. Objekt des Hasses ist jetzt ein Dreigestirn: Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen, Bayern München. In dieser neuen Wert- und Weltordnung ragt Dortmund etwas heraus – nicht nur, weil es mit 50 Millionen Mark Spielerneueinkäufen Spitzenreiter der Liga ist; nicht nur, weil in keiner anderen Betonschüssel mehr Besoffskis sitzen als im Westfalen-Stadion. Viel wichtiger sind Trainer, Spieler und Spielweise. Alle drei Phänomene ziehen bei Dortmund wie riesige Magnete die Attribute des Verächtlichen und Niederen auf sich. Da können die Bayern kaum mithalten.

Zu Bayer Leverkusen sagen wir nur drei Worte: Daum, Geld, Pillen. Sofort wird klar: Die Exklusivität der Bayern als eine besonders abstoßende, tumbe und im Wortsinne häss-liche Millionariotruppe ist unwiderruflich dahin.

Was machen wir jetzt mit unserem portionierten Hass? Wir müssen erstens feststellen, dass Ausmaß und Kraft unseres Affekts durch die Aufteilung auf drei Objekte spürbar nachlassen. Dies wiederum kann uns nur gut tun, weil das Irrationale und Wahnhafte des Hasses dadurch aufgesprengt wird. Aber Obacht, die Folgen können schnell unkalkulierbar werden. Sigmund Freud hat es in aller Klarheit formuliert: „Erweist sich später das Objekt des Hasses als Lustquelle, so wird es geliebt.“ Eine neue Liebe zum FC Bayern München? So weit sollten wir es nun wirklich nicht kommen lassen, solange noch Oliver Kahn im Tor steht und Lothar Matthäus den Libero gibt.

Andererseits: Matthäus verschwindet pünktlich zum Millenniumsprung über den Atlantik nach New York. Und dann beginnt ja sowieso ein neues Jahrtausend.

Manfred Kriener

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