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Press-SchlagFeuern bei Ballverlust

Der deutsche Profifußball bereitet sich innovativ auf zukünftige Millennien vor

Die Idee ist so raffiniert, die Umsetzung so zügig, dass sicher Erich Ribbeck dahinter steckt: Kaum dass England zum Dauergegner erkoren ist, bereitet sich die hiesige Liga mit einer Englischen Woche vor. Die wurde einsten so genannt, weil zusätzlich mittwochs zu spielen allein Britensitte war und nicht Sache des memmigen europäischen Kontinentalspielers. Jetzt hat die Englische Woche die Funktion neuer deutscher Kompaktheit: Wann hat man es zuletzt erlebt, dass ein Spieltag an nur zwei Tagen abgenudelt wird? Fast schon will Nostalgie einen umwehen.

Überhaupt: der Hauch der großen Geschichte. Er pustete durch alle Stadien. In Duisburg verteilten sie „Millennium-Schals“ ans Publikum. Bei der Hertha (und bei anderen auch) wurde „das letzte Millennium-Heimspiel“ gegeben. Die Bayern wollen „als Nr. 1 ins Millennium“, und Bielefelds Bruno Labbadia, der endlich mal wieder traf (nachweislich zum letzten Mal auswärts in diesem Millennium), konnte sich auch sonst zu einer historischen Tat aufraffen: Er foulte Lothar Matthäus „zum letzten Mal in diesem Jahrtausend“. Und dann war noch von „Hachings Heimjahrtausend“ die Rede. Sollte wohl heißen: Die SpVgg Unterhaching ist der einzige Erstligist, der im zurückliegenden Millennium daheim komplett ungeschlagen ist. Glückwunsch!

Zukunftsgerichtet wie wir so sind bei der taz, müssen wir auf ein anderes großes Thema kommen. Noch rufen wir Leibesübler allen zu: Bucht dauerhaft bis heute Mittag, rettet uns, weihnachtsverschenkt Millennium dauernde Abos – sonst kommt ab morgen ein böser Onkel statt unser. Dann wäre dieser Liga-Press-Schlag der abschließende des Millenniums. Dann fällt der nächste Spieltag am Wochenende aus, die taz beschließt mit einer Englischen Halbwoche (Berliner Zweidrittelwoche) die Vorrunde.

Immer noch ist kein Trainer entlassen in Liga 1, auch Frankfurts Jörg Berger nicht. Liegt es an der friedstiftenden Vorweihnachtszeit? Da kommt eine Beeil-Meldung aus der Zweitligametropole Köln, die uns ans Herz geht – nicht vom notorisch querelösen 1. FC übrigens, sondern von der erfolgsfreien Fortuna. Die steht am Tabellenende, weil man, so ihr Trainer Toni „Tünn“ Schumacher, eine dauerhafte „Ergebniskrise“ habe. Jean Löring, der allmählich senilisierende Fortuna-Chef seit Ewig und drei Spieltagen, hatte am Mittwochabend die Brachialreime im Stadionheft gelesen: „Knecht Ruprecht muss die Rute schwingen wegen all den schlimmen Dingen.“ Augenblicklich dachte Löring über seinen Trainer nach, über die „Überheblichkeit, Sturheit und Arroganz eines früheren Weltklassespielers“, und diagnostizierte bei schnellen neuen Gegentoren: Keiner im Club wisse mehr, „ob er Männchen oder Weibchen ist“. Und der Vereinsboss schritt zur Tat: Beim Stand von 0:2 gegen Mannheim (oder Frauheim?) beurlaubte Jean (oder Jeanette?) Löring seinen/ihren Coach in der Halbzeitpause. Raus! Und tschöö. Toni (Tonia?) SchumacherIn verließ auf der Stelle das Stadion. Das Spiel endete übrigens 1:5.

Eine innovative und konsequente Form der Entlassung, zudem zukunftsweisend für kommende Millennien: Bald werden die Übungsleiter schon bei drohenden Torchancen für den Gegner gefeuert, am besten gleich bei Ballverlust im Mittelfeld. Das Spiel ist so schnell geworden, wird das Motto bald heißen, da darf man nicht bis zum Gegentor warten. Arbeitslose Trainer sind heute schon darauf vorbereitet, weshalb sie sich so gern auf Ehrentribünen herumlümmeln. Sie werden „Warte-Coaches“ heißen und können schnell eingewechselt werden bis zur eigenen Schnell-Demission bei zum Beispiel falschem Einwurf. Die Löringsche Methode ist lebensbejahend und gesundheitsfördernd: In der Konsequenz verhindert sie Herzinfarkte mit Todesfolge auf der Trainerbank wie einst bei Gyula Lorant in Griechenland.

Nur der Kölsche Trainerkollege Ewald „das Hemd“ Lienen hatte mal wieder was zu meckern: „Eine ungeheuerliche Respektlosigkeit. So etwas hat man vielleicht in der ehemaligen DDR gemacht.“ Hat man wirklich? Die DDR als frühe Speerspitze der Zukunft? Ostkenner, bitte melden!

Bernd Müllender

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