Press-Schlag: Jedem sein Waterloo ■ Jungspunde zu Nationalspielern
Es gibt Angebote, die gibt es gar nicht. Butterfahrten zum Beispiel. Oder: für 99 DM per Bus zum Shopping nach London. Abfahrt spätabends, einkaufen bis zum Abwinken, in der nächsten Nacht zurück. Allerdings müssen lästige Zwischenstopps in Kauf genommen werden, bei denen in Wattenscheid, Gelsenkirchen und Essen jeweils noch ein paar Reisegesellen zusteigen.
Sven-Göran Eriksson, Trainer von Lazio Rom, ist unter der Woche ähnlich verfahren. Kurzerhand ließ er am Mittwochabend sein international besetztes Star-Ensemble nach diversen Länderspielen in ganz Europa mit Privatfliegern wieder einsammeln. Schließlich sollten seine Spieler zügig zu Hause sein, um am Mannschaftstraining für das samstägliche Match gegen Udinese Calcio mitzuwirken.
Würde am kommenden Wochenende die Europameisterschaft beginnen, die strategische Glanzleistung der Römer ließe unseren Bundestrainer auf Nachahmung sinnen. Gerade hat er noch gedankenverloren auf sein Laptop geschaut, jetzt stellt sich schon eine Eingebung ein. Entschlossen wählt er die Handynummer seines Trainers 1b, den er gerade und nicht ganz unerwartet auf irgendeinem Rasenplatz bei der Arbeit erwischt. Wenig später setzt sich der leere Mannschaftsbus in Bewegung, um die handverlesenen jungen Männer abzuholen, die für die höheren Weihen von Charleroi und Lüttich vorgesehen sind.
Allesamt haben sie schon das ein oder andere Meisterschaftsspiel weitgehend unfall- und eigentorfrei hinter sich gebracht und an diesem Wochenende gar Sir Erichs Herz im Sturm erobert. Markus Beierle wird auf dem Weg zur EM als Schütze eines der spärlichen Saisontore seines MSV ebenso aus Duisburg abgeholt wie sein Mannschaftskamerad Dietmar Hirsch (extrem ausgeruht wegen frühzeitiger Roter Karte). Thomas Reichenberger aus Frankfurt darf mitfahren (Tor per Dropkick, den alle außer Kahn hübsch anzusehen fanden), auch Jungspund Bernhard Trares (Torschütze in der 6. Spielminute und damit schneller als die Nationalspieler Roy Präger und Marco Rehmer) und natürlich HSV-Keeper Hans-Jörg Butt (neuntes!!! Elfmetertor in dieser Spielzeit), mein Cousin Hansi (Fortuna Bottrop, Hattrick in der Kreisliga B) und Brad Peschel-Pitt (ebenfalls sein neuntes Saisontor, zumal gegen die Übermannschaft des FC St. Pauli) als Sympathieträger bei den 12- bis 15-Jährigen weiblichen Geschlechts. Draußen bleiben müssen diesmal: Thomas Hengen (Sippenhaft), Olaf Holetschek als Spielverderber in Rostock (Freiburg dankt) und die zwei, drei üblicher Weise berücksichtigten Insassen des offenen gerontologischen Vollzugs von der Säbener Straße.
Und Wolfsburg wird weiträumig umfahren. Zoltan Sebescen, dessen Rehabilitierung in einem regelgerechten Einwurf kulminierte, darf, von aller Last befreit, daheim in seinem Sessel sitzen bleiben und zusehen, wie sich diesmal die anderen lächerlich machen.
Reiner Leinen
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