Premiere im Grips-Theater: Brisant, aber es funktioniert

Das neue Stück „Inside IS“ des verdienten Regisseurs und Autors Yüksel Yolcu am Berliner Grips-Theater überzeugt.

Drei Männer

Drei junge Leute, die aus Deutschland nach Syrien gehen Foto: David Baltzer/bildbuehne.de

Warum verlassen Jugendliche dieses Land und sprengen sich für den IS in die Luft? Was finden sie dort, was sie hier nicht finden können? Wichtige, drängende Fragen sind es, die Yüksel Yolcu umgemünzt hat zu einem Theaterstück, das sich an genau diese Jugendlichen wendet. „Altersempfehlung: ab 15 Jahren“, sagt das Grips-Theater am Hansaplatz, das seinen verdienten, mehrfach ausgezeichneten Regisseur und Autor mit der Stückentwicklung betraut hat. Thema also: gesellschaftspolitisch angeraten, aber mit Fettnäpfchen vermint.

Was tut Yolcu, um sich der Komplexität seiner Aufgabe zu stellen? Er nimmt sich den Anfang 2015 veröffentlichten Bestseller „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘“ von Jürgen Todenhöfer vor, jenem ehemals stramm rechten CDU-Bundestagsabgeordneten, der im Anschluss an die politische Laufbahn die großformatige Wandlung zum Investigativreisenden, Rambo-Interviewer (Taliban! Al Qaida! Assad! IS!) hingelegt hat und zum auf „Wahrheit“ nicht weniger als auf Schauwerte abzielenden Versteher des Mittleren Ostens.

Also jenem Mann, der mit seinem Mantra „Man muss seine Feinde kennen, wenn man sie besiegen will“ und hin und wieder journalistisch fragwürdigen Methoden Interviews erwirkt und der viel Kritik bekommen hat für Selbstverliebtheit, eindimensionalen Antiamerikanismus und dafür, der Terrormiliz IS unreflektiert eine Bühne zu bieten.

Todenhöfers „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘

Yolcu aber holte sich von Todenhöfer „exklusiv die Rechte an der Dramatisierung“ von „Inside IS“ und machte dessen Buch zur motivischen Grundlage für sein Stück. Brisant. Aber: Es funktioniert. Denn: Dieser von Christian Giese gespielte Todenhöfer holt mit seiner Entschlossenheit, seinem leicht naiv-bekloppten Drive („Ich rede mit allen Seiten!“) und natürlich auch mit der Abenteuerlichkeit seiner Unternehmung Jugendliche ganz sicher ab.

„Inside IS“, Gripstheater Berlin, weitere Termine: 15./28./29.10., 18./19.11., 10.12., 21.1. jeweils 19.30 Uhr; 21.11., 8.12., 23.1. jeweils 18 Uhr, 14.10., 22.11. 9.12., 24.1. jeweils 11 Uhr. Nach jeder Vorstellung gibt es ein von Expert*innen geführtes Publikumsgespräch.

Social-Media-unerfahren (Lacher) und damit als Übervaterfigur gebrochen (geschickt) braucht er seinen Sohn Frederic (Andockpunkt fürs junge Publikum), um über Facebook und Skype Kontakt herzustellen zu deutschen IS-Kämpfern. Bewaffnet allein mit Mut zum Risiko, Korankenntnis und Lebkuchen (schmeckt auch IS-Fuzzis) stürzt er sich im Buch und auf der Bühne in die vom IS kontrollierten Gebiete. Gebanntheit garantiert.

Das Stück hat ein gutes Tempo, es begegnet niemandem von oben herab

Fünf Schauspieler und eine Schauspielerin spielen sich mit Verve durch die 17 Szenen. In wechselnden Rollen, vor schlichtem Bühnenbild und mit wenigen Requisiten hantierend, Bärten vor allen Dingen. Im Wechsel geht es darin um den Trip von Vater und Sohn Todenhöfer sowie um die fiktiven Figuren Fabian, Said und Melanie, die Yolcu in die Todenhöfer-Story einflicht: drei junge Leute, die aus Deutschland nach Syrien gehen, um dort unterschiedliche Schicksale zu erleben.

Der Komplexität des Themas wird angstfrei begegnet

Fabian stirbt als Selbstmordattentäter, Melanie will als konvertierte Muslimin Frau eines IS-Kämpfers werden, und Said kehrt ernüchtert nach Deutschland und damit ins Gefängnis zurück. Ferner treten auf – und sorgen in ihrer nah an der Schmerzgrenze operierenden, karikaturhaften Überzeichnung für viele Lacher im Publikum: Hassprediger, gemäßigte Imame, Deutsche, die als IS-Frauen an der Seite ihrer „Löwen“ das Glück gefunden zu haben scheinen (obwohl Babycreme fehlt), der IS-Kämpfer Christian Emde, Kampfname „Abu Qatada“ – und in einer delirant-guten Nukleusszene im Hamam (!) auch IS-Kalif al- Baghdadi.

Man kann vieles kritisch finden an diesem Stück: Fabian, der zum Märtyrertod entschlossene nette Sanfte, wird latent entschuldet, darf ein bisschen zu sehr Opfer sein, Todenhöfer darf sich selbst beweihräuchern – „Ich habe mehr als die Hälfte meines Vermögens für Kriegsopfer gespendet!“

Aber: Das Stück hat ein gutes Tempo, es begegnet niemandem von oben herab, bricht über die Nebenstränge auch die allzu selbstgewissen Einschätzungen Todenhöfers. Der Komplexität des Themas wird angstfrei begegnet, die Verführungskraft des radikalen Islamismus in vielen Facetten erklärlich als Problem der Adoleszenz, die sich nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen sehnt. Gegen die Brutalität des IS wird die Idee eines Islam in Stellung gebracht, der der IS-Ideologie mit den gelebten Werten von Menschlichkeit und Barmherzigkeit gegenübertritt.

Todenhöfer rezitiert dazu Koransuren – was leicht albern-didaktisch hätte werden können, aber am Schluss mit einem guten Move aufgefangen wird. Denn nicht der Oberlehrer, sondern Fabian hat das letzte Wort, wenn er im Abschiedsbrief schreibt: „Was ist das? Ein gelungenes Leben? Ich weiß nicht. Aber ich weiß jetzt, dass man mutig sein muss, selber über sein Leben entscheiden.“ Das Stück traut seinem jugendlichen Publikum zu, selbst Entscheidungen zu treffen – lässt ihnen diese Entscheidung auch. Argumente, sich eher nicht für die einfachen Antworten zu entscheiden, liefert das Stück zur Genüge.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.