Premiere des Einbürgerungstests: Nachhilfe im Deutschsein
Seit Montag gilt der neue Einbürgerungstest. Beim Vorbereitungskurs in Berlin reden die Teilnehmer über das Grundgesetz. Und darüber, dass auch viele Deutsche die Fragen nicht beantworten könnten
BERLIN taz Rashida Altaf spricht ganz langsam, als traue sie den eigenen Worten nicht. "Sechzehn Länder, sechzehn Fahnen", sagt sie und hält inne. Zusammen mit ihrem Mann steht die Pakistanerin im Flur der Volkshochschule von Berlin-Mitte. Sie hat sich ein transparentes Tuch mit glitzernden Steinen über die Haare gezogen und schaut erwartungsvoll. War 16 richtig? Richtig! Rashida Altaf lacht. Auch ihr Mann hat Spaß an der Sache. Er setzt eine strenge Miene auf. "Und wie viel Einwohner hat Deutschland?"
Die Pakistanerin und 17 andere Ausländer sind am Montagabend in die Volkshochschule gekommen, um sich auf ihre Einbürgerung vorzubereiten. Wer den deutschen Pass haben will, muss seit Anfang dieser Woche nicht nur Sprachkenntnisse vorweisen und den Lebensunterhalt selbst bestreiten, sondern auch einen Wissenstest bestehen. Der Einbürgerungskurs in Berlin startete bundesweit als einer der ersten. Auch deshalb ist der Klassenraum voller Journalisten.
In der Prüfung werden von 310 Fragen zum politischen System, zur deutschen Geschichte und Kultur 33 ausgewählt. Für jede Frage gibt es vier Antworten. Wer sein Kreuzchen bei mindestens 17 an der richtigen Stelle setzt, hat bestanden. Die Aufgaben kann man im Internet nachlesen. "Inhaltlich ist der Test nicht schwer. Aber vor allem sprachlich hat er Tücken", sagt der Volkshochschulleiter Michael Weiß.
Wo fängt man an, wenn man Deutschland erklären will? "Art. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar", steht nach den ersten anderthalb Stunden an der Tafel. In kleinen Gruppen haben die Teilnehmer die Grundrechte besprochen, erzählt Kursleiterin Petra Voss. "Einer wusste nicht, was ,Würde' bedeutet. Die anderen haben es ihm erklärt." Sei sei positiv überrascht. "Ich hatte mit elementareren Fragen gerechnet."
Berliner vieler Nationalitäten sitzen im Kurs: Inder, Türken, Brasilianer. Die meisten leben schon seit Jahren in Deutschland. "Ich will mich einbürgern lassen, weil ich dann leichter einen Job finde", erzählt ein junger Mann, der aus der Türkei stammt. Eine 30-jährige Kurdin in einem pinkfarbenen Polohemd druckst ein bisschen herum. Seit sieben Jahren lebt sie in Berlin, arbeitet als Pizzabäckerin. Nein, es sei ihr nicht wichtig, Deutsche zu werden, sagt sie. "Aber ich hoffe, dass ich staatliche Unterstützung bekomme."
Die Meinungen über den neuen Einbürgerungstest gehen im Kurs auseinander. "Die Fragen sind zu schwer. Viele Deutsche wüssten die Antworten auch nicht", beschwert sich eine Türkin. Ein anderer widerspricht: "Wenn man einen Pass haben will, muss man auch etwas über das Land wissen." Die junge Kurdin geht die Sache pragmatisch an. "Ich werde die Antworten auswendig lernen, wie bei der Führerscheinprüfung."
Mitte September finden die ersten Tests statt. 25 Euro kostet die Prüfung, sie ist beliebig oft wiederholbar. Für einen Vorbereitungskurs mit 60 Stunden muss man rund 140 Euro zahlen. Die Pakistanerin Rashida Altaf ist ihrem Mann vor acht Jahren nach Deutschland gefolgt. Sie will die deutsche Staatsbürgerschaft, um ohne Visum zu ihren Verwandten in Großbritannien reisen zu können. Ihr Mann hat den deutschen Pass bereits. Er begleitet sie nur zum Kurs, übersetzt manchmal.
Als die Pause vorbei ist, laufen die Teilnehmer zurück ins Klassenzimmer. Neben dem Eingang liegen Hefte der Bundeszentrale für politische Bildung. "Menschenrechte", Föderalismus in Deutschland", "Kommunalpolitik" steht darauf. Altaf und die anderen haben noch viel vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen