Preisanstieg bei der Post: Macht! Endlich! Alles! Teurer!
Angeblich soll das Briefporto steigen. Aber warum nur das Porto? Auch Mieten, Äpfeln und frischer Luft stünden Preiserhöhungen gut zu Gesicht.
Laut Bild wird das Standardbriefporto im Januar 2016 auf 70 Cent erhöht. In der Dimension der Steigerung ein Quantensprung, doch prinzipiell nichts Neues: In den letzten Jahren wurde das Porto stündlich erhöht; tapeziert mit Ergänzungsmarken niedrigen Nennwerts passte kaum noch die Adresse aufs Kuvert. Jeweils „begründet wurde die Erhöhung mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust im Vergleich mit den Möglichkeiten, auf digitalem und mobilem Wege Botschaften auszutauschen“ (t-online.de).
So also funktioniert Wirtschaft in den sich zu verwunschenen Labyrinthen einer luziden Logik schlängelnden und schnörkelnden Superhirnen der Deutschen Post: Sinkt die Nachfrage an einer Ware, so erhöht man den Preis bei gleichzeitiger Reduzierung der damit verbundenen Leistungen. Will meinen: Seitdem die regelmäßige Erhöhung zur Routine geworden ist, hat der Privatkunde montags nur noch Spinnweben in der Box. Nach der nächsten Erhöhung landet die Post, ähnlich den Gepflogenheiten bei DHL, an jedem Wochentag nur noch zu ungewisser Zeit an einem ungewissen Ort.
Klingt schwierig, ist aber ganz einfach. Doch um die Betriebswirtschaft auch für die Kinder und Kindgebliebenen unter uns zugänglich zu machen: Bauer Tönnies will Frau Müller ein Kilo Äpfel für 2 Euro verkaufen. Frau Müller aber ist allergisch gegen Äpfel und krepiert daran noch schneller als Schneewittchen. Also lehnt sie dankend ab. Daraufhin, als wär er taub in Ohr und Geist, angelt der Bauer mit dem Kescher in seiner radioaktiv verseuchten Jauchegrube und fördert ein Pfund verfaulter Äpfel zutage, das er Frau Müller nunmehr für 20 Euro anbietet. Dieser bleibt nichts anderes übrig, als Tönnies auf analogem, digitalem und mobilem Wege mitzuteilen, wohinein er sich seine Früchte schieben könne.
„Post und Bank: Tassen im Schrank?“, fragt schon der Volksmund, der seine hemdsärmeligen Weisheiten im Normalfall ja sonst lieber in Aussagesätze kleidet. Allerdings hat die ganze Sache einen Haken: Die Post weiß offiziell nichts von der angeblichen Erhöhung. Niemand weiß davon, außer der Bild, von der wiederum alle anderen abschreiben. Kai Diekmann muss die Frohbotschaft zusammen mit dem geheimen Entwurf der neuen 70er-Marke, Motiv „Schokoladenblume“, persönlich auf St. Pauli empfangen haben, wo er (#wirhelfen) wie so oft Mädchen aus Krisenregionen zu Brot und Lohn verhalf.
Baustein im Gebäude des sozialen Unfriedens
Aber er hat schon recht: Alles muss viel, viel teurer werden. Damit man die einfachen Dinge wieder zu schätzen weiß. Äpfel. Briefmarken. Frische Luft. Mädchen aus Krisenregionen. Nach einer weiteren unbestätigten Bild-Meldung sollen auch die Bahnpreise in Tarifstufen wie „Mondscheintarif“, „Glücksbärchi-Ticket“ oder „Los Wochos“ neu gestaffelt und im selben Aufwasch saftig erhöht werden. Die starke Konkurrenz durch den billigeren Fernbus macht diese Steigerung nach den revolutionierten Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft (siehe oben) unvermeidlich.
Auch den Wohnungsmieten stünde eine Korrektur nach oben nicht übel zu Gesicht. Eine asynchron zum fehlenden Inflationsausgleich erfolgende Verteuerung von Grundbedürfnissen (unter anderem Mobilität, Wohnraum und Kommunikation) ist der wohl wichtigste und notwendigste Baustein im Gebäude des sozialen Unfriedens, dessen destabilisierende Wirkung nicht wenigen gelegen kommt, um Stimmung und aus Stimmung Politik zu machen.
Am Anfang sind es nur Briefmarken, ein scheinbar unbedeutender Retro-Gegenstand, dessen Existenz, geschweige denn Benutzung, heute kaum noch einem Menschen unter 35 Jahren geläufig ist. Doch uns Älteren ist das Porto ein Symbol für die Freiheit und das Überwinden großer Entfernungen, auch zwischen den Menschen, gerade zwischen den Menschen. Wer dieses Symbol missbraucht oder über dessen Missbrauch leichtfertig spekuliert, spielt mit dem Feuer.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau