Präventionsberaterin über junge Neonazis: „Wir bekommen mit, wie sich 13-Jährige radikalisieren“
Immer häufiger driften Jugendliche in die rechte Szene ab, sagt Elisabeth Hell vom Violence Prevention Network. Der Einstieg erfolge oft über Tiktok und Telegram.
taz: Frau Hell, beim Neonazi-Aufmarsch in Friedrichshain am vergangenen Samstag waren auffällig viele junge Teilnehmer*innen dabei. Was wissen Sie über diese Jugendlichen? Wer geht da hin und warum?
Elisabeth Hell: Die meisten dieser Jugendlichen verbindet das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in der sie sich sicher fühlen und anerkannt sind. Dazu kommt noch die Suche nach einem höheren Sinn. Die Jugendlichen wollen die Welt verändern, das System stürzen. Wir bekommen immer öfter mit, dass sich sehr junge Menschen ab 13 Jahren radikalisieren. Eine wichtige Rolle spielen dabei Aufrufe von sogenannten aktionsorientierten Rechtsextremisten. Im Sommer haben diese beispielsweise gemeinsam Fahrten nach Sachsen organisiert, um dort CSD-Paraden zu stören. Das sind für rechte Jugendgruppen zugespitzt gesagt aufregende Freizeitangebote.
taz: Ist die starke Mobilisierung unter jugendlichen Rechtsextremen Ausdruck eines größeren aktuellen Trends?
Hell: Unter denjenigen, die im Bereich des Rechtsextremismus auffallen, beobachten wir in den letzten Jahren definitiv vermehrt junge Menschen.
Elisabeth Hell leitet den Fachbereich Rechtsextremismus beim Violence Prevention Network in Berlin. Die Organisation unterstützt Menschen, die sich aus rechtsextremen Strukturen zurückziehen möchten und berät zudem das soziale Umfeld der Betroffenen.
taz: Wie landen die Jugendlichen in der rechten Szene?
Hell: Es gibt unterschiedliche Wege. Oft stecken die Jugendlichen am Anfang in einer Krise. Das reicht aber nicht. Die sogenannten Door Opener sind Berührungspunkte mit rechtsextremen Inhalten. Durch Social Media haben sich die Möglichkeiten, mit rechtsextremen Weltbildern in Kontakt zu kommen, vervielfacht. Wenn man sich als junger Mann beispielsweise für das Militär interessiert, gerät man sehr leicht an Tiktok-Accounts, die von rechtsextremen Akteuren betrieben werden. Die laden einen dann in ihre Telegram-Kanäle ein, in denen man zu Vernetzungstreffen rechtsextremer Parteien oder Gruppen eingeladen wird. Es gelingt immer wieder, junge Menschen im Internet für Offline-Aktivitäten zu rekrutieren.
taz: Sie beraten einstiegsgefährdete, aber auch bereits radikalisierte Menschen und deren Angehörige. Wie hat sich die Nachfrage nach Ihrem Angebot in den letzten Jahren entwickelt?
Hell: Der Bedarf steigt. Vor der Coronapandemie haben wir vor allem ältere Aussteiger*innen beraten. Inzwischen geht es in vielen Fällen eher darum, die Radikalisierung von sehr jungen Menschen zu verhindern. Die hohe Zahl der Anfragen an uns liegt zum einen am gesellschaftlichen Rechtsruck, zum anderen scheint es so, als seien Pädagog*innen und Angehörige stärker für demokratiefeindliche Tendenzen sensibilisiert.
taz: Welche Rolle spielt das persönliche Umfeld für die Rechtsextremismusprävention? Was kann man zum Beispiel tun, wenn ein Angehöriger in rechte Kreise gerät?
Hell: Es kommt stark darauf an, was für ein Verhältnis man zu der Person hat, um die man sich sorgt. Es ist für das ganze soziale Umfeld eine Belastung, wenn jemand sich radikalisiert. Schließlich hat das auch immer mit Diskriminierung und Gewaltverherrlichung zu tun. Eine Radikalisierung wird oft von Konflikten innerhalb der Familie und einer Isolierung vom sozialen Umfeld begleitet. Wir raten Angehörigen, so weit wie möglich im Kontakt zu bleiben. Verbindungen außerhalb der rechtsextremen Szene können nämlich eine potenzielle Ausstiegsmöglichkeit bieten. Gleichzeitig sollte man als Angehöriger aber Grenzen des Sagbaren aufzeigen und auf sich selbst achten.
taz: Im vergangenen Herbst sind die Behörden mit Razzien gegen die junge rechtsextreme Szene in Berlin vorgegangen. Ist so ein hartes Durchgreifen für die Prävention förderlich?
Hell: Einerseits kann staatliches Durchgreifen helfen, weil es bei jungen Menschen zu einem Umdenken führen kann, wenn sie festgenommen werden, eine Hausdurchsuchung bei ihnen stattfindet oder sie sogar vor Gericht landen. Neben der Repression müssen aber auch pädagogische Angebote gemacht werden. Berlin ist da schon relativ weit. Repression kann nämlich auch als Katalysator der Radikalisierung wirken. Das lässt sich so auch auf den familiären Kontext übertragen.
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