Präsidentenwahl in Finnland: Alte Bekannte vor neuen Aufgaben
Bei der Präsidentenwahl gelten der frühere konservative Regierungschef Alexander Stubb und der grüne Ex-Außenminister Haavisto als Favoriten.
Stubbs Sinneswandel könnte ihm jetzt das höchste Staatsamt in dem nordischen Land einbringen. An diesem Sonntag stimmen die Finn*innen bei Präsidentenwahlen über die Nachfolge von Sauli Niinistö ab, der nach zwei sechsjährigen Amtszeiten nicht mehr kandidieren darf.
Jüngsten Umfragen des Marktforschungsunternehmens Taloustutkimus von Mitte Januar zufolge führt der 55jährige, der für die in einer Koalition regierende konservative Sammlungspartei (KOK) das Feld der neun Bewerber*innen mit 27 Prozent an.
Stubb auf den Fersen ist Pekka Haavisto mit 23 Prozent. Auch der grüne Liberale in Finnland beileibe kein Unbekannter: Bereits zweimal (2012 und 2018) trat er bei Präsidentenwahlen an. Im Kabinett der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin, deren Regierung im vergangenen April abgewählt wurde, hatte Haavisto den Posten des Außenministers inne.
Gut für Überraschungen
Dritter im Bunde, der noch für eine Überraschung sorgen könnte, ist der aktuelle Parlamentspräsident Jussi Halla-Aho von der ultrarechten Finnen-Partei (PS). Derzeit liegen die Umfragewerte für den 52jährigen, den das finnische Verfassungsgericht 2012 wegen rassistischer Äußerungen zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, bei 18 Prozent – Tendenz steigend. Da nach Lage der Dinge kein Kandidat an diesem Sonntag auf über 50 Prozent der Stimmen kommen dürfte, findet am 11. Februar eine Stichwahl statt.
Der bevorstehende Urnengang stößt, anders als in früheren Jahren, im In-und Ausland auf besonders großes Interesse. Grund dafür ist vor allem Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er hat nicht nur die europäische Nachkriegsordnung aus den Angeln gehoben, sondern auch für Helsinki wichtige Koordinaten verändert.
Am 4. April 2023 trat Finnland, das eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, der Nato bei. Damit wurde der jahrzehntelange außenpolitische Kurs der Neutralität, der auch das Bemühen um gute Beziehungen zu Russland einschloss, ad acta gelegt. Vor diesem Hintergrund kommen auf den neuen Präsidenten ganz besondere Herausforderungen zu: Laut Verfassung zeichnet er für die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes verantwortlich und er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Unter den Präsidentschaftskandidat*innen sind Finnlands künftige Rolle in der EU und Nato sowie eine weitere Unterstützung der Ukraine Konsens. Auch Jussi Halla-Aho, lautstarker Verfechter eines EU-Austritts („Fixit“) hat mittlerweile verbal etwas abgerüstet. Es sei gerechtfertigt, auf lange Sicht einen Austritt aus der EU anzustreben … Aber gleichzeitig erkenne man an, dass ein fragmentiertes Westeuropa angesichts der vorherrschenden Weltlage viel schwächer gegenüber der Bedrohung durch totalitäre Länder wäre, sagte er im vergangenen August.
Striktere Visa-Vergabe
Die wachsende Bedrohung durch Russland war es auch, die Pekka Haavisto in seiner Funktion als Außenminister im September 2022 dazu brachte, entsprechende Gesetzesänderungen auf den Weg zu bringen. So wurde unter anderem eine striktere Visa-Vergabe für Russ*innen eingeführt. Damit sollten vor allem Männer daran gehindert werden, Finnland bei ihrem Versuch, sich einer Einberufung zu entziehen, als Transitland zu nutzen.
Es gebe keine moralische oder ethische Basis dafür, das der russische Tourismus normal weiter gehe. Helsinki habe dieses Thema auch oft in der EU angesprochen, sagte Haavisto damals. Mittlerweile hat Finnland alle Grenzübergänge zu Russland geschlossen, die Maßnahme wurde unlängst bis zu 11. Februar 2024 verlängert. Zu Begründung nennt die Regierung eine von Moskau instrumentalisierte illegale Migration, die eine Bedrohung für Finnlands nationale Sicherheit darstelle.
Die Angst vor dem Nachbarn lässt sowohl Stubb als auch Haavisto die Einheit der finnischen Gesellschaft beschwören, um der Bedrohungslage widerstehen zu können. Haavisto kündigte an, das diese Einigungsbemühungen zu einer Priorität seiner Präsidentschaft machen zu wollen. Der 65jährige, der offen schwul lebt, mahnte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit an, bei Hasssprache gegenüber Minderheiten härter durchzugreifen – vor allem eine Botschaft an die Adresse der an der Regierung beteiligten Finnen-Partei.
„Wenn wir das Land gegen alle äußeren Bedrohungen, einschließlich der russischen Bedrohungen, geeint halten wollen, ist es sehr wichtig, dass wir diese Art von Themen national händeln können, da sie sonst gegen uns missbraucht werden und es zu allen möglichen Provokationen kommen kann. Es ist wichtig, dass wir als Finn*innen toleranter werden“, sagte er dem britischen Guardian. Viele in Finnland lebende People of Color seien Rassismus ausgesetzt, was er als Präsident ändern wolle. Der Umgang mit den Menschen werde auf Gleichheit basieren.
Einiges abverlangen
Wer auch immer in das Präsidentenpalais in Helsinki einziehen wird – „die Aufgaben für den neuen Amtsinhaber sind immens und dürften ihm einige abverlangen. Denn niemand kann derzeit abschätzen, wann und wie Russlands Krieg gegen die Ukraine enden wird.
„Früher war die bilateralen Beziehungen zu Russland die Hauptaufgabe des Präsidenten, aber jetzt ändert sich die Position, weil von diesen Beziehungen nicht mehr viel übrig ist“, zitiert der arabische Nachrichtensender Al Jazeera Minna Alander, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten. „Die Frage ist also: Wie verändert sich die Präsidentschaft? Wird [der Präsident] nun NATO-Präsident? Der Konsens scheint ja zu sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance