Präsident der Kurdenregion im Irak: "Die Türkei will Krieg"
Massud Barzani glaubt, dass die Türkei die PKK nur als Vorwand benutzt, um den kurdischen Teilstaat im Nordirak zu attackieren.
SALAHEDDIN taz Der Luftkurort Salaheddin auf einem Hügel im Norden der kurdischen Stadt Erbil gleicht einer Bergfestung. An sämtlichen Zufahrtsstraßen haben Wachen von Masud Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) eine Vielzahl von Checkpoints errichtet. Rund hundert Meter vor dem Amtssitz des Präsidenten der autonomen Kurdenregion ist für unseren Fahrer Schluss. Nach einer gründlichen Taschen- und Leibesvisitation bringt uns ein hauseigener Fahrer zum Präsidentenpalast.
Außen mit beigem Sandstein aus Mossul verkleidet, glänzen innen edler Marmor und Granit. Männer in dunklen Anzügen und Krawatten huschen durch die Gänge. Barzani hingegen empfängt uns im typischen Anzug der kurdischen Peschmergas: weite Hose, Weste mit Schulterklappen und Schärpe.
Hier in Salaheddin zeigt sich deutlich, dass die irakischen Kurden viel erreicht haben und sie das Erreichte nicht kampflos preisgeben werden. Das ist auch Barzanis Botschaft an die Türkei, die mit einem Einmarsch in in den Nordirak droht.
In dem Gespräch mit einigen wenigen ausländischen Journalisten appelliert Barzani erneut an die nördlichen Nachbarn, den Konflikt mit der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) friedlich beizulegen. Doch zugleich wirft er der türkischen Regierung vor, die PKK nur als Vorwand für einen möglichen Angriff zu benutzen. Denn in Wirklichkeit, davon ist Barzani überzeugt, gehe es der Türkei gar nicht um die PKK, die im Nordirak mehrere Basen unterhält. Vielmehr störten sich die Türken am kurdischen Teilstaat im Nordirak, dessen Präsident Barzani seit dem Sommer 2003 ist. "Die Türkei will unbedingt Krieg", sagt er. Und entschlossen fügt er hinzu: "Wenn die Türken einmarschieren, bedeutet das Krieg."
Die Regionalregierung hat ihre Einheiten in Alarmbereitschaft versetzt. Bewohner der Grenzregion berichten, dass in den vergangenen Tagen mehrere tausend kurdische Soldaten mit schwerer Artillerie dorthin verlegt worden seien. Zumindest die Verstärkung der Grenzposten bestätigt Barzani, beteuert jedoch, dass diese Maßnahmen rein defensiven Charakter hätten. "Wir wollen in Frieden mit den Türken leben", sagt er. "Wenn sie aber unser Volk, unsere Interessen, unser Land angreifen, verteidigen wir uns."
Die KDP hatte der PKK in ihrer Anfangsphase Hilfe bei der militärischen Ausbildung geleistet. Mitte der Neunzigerjahre aber kam es im schon damals weitgehend autonomen Irakisch-Kurdistan zu Zerwürfnissen zwischen der KDP, der PKK und der zweiten irakisch-kurdischen Partei, Jalal Talabanis Patriotischer Union Kurdistans (PUK). Barzani stellte sich auf die Seite der Türkei, seine Kämpfer unterstützten im Folgenden zwei große Invasionen der türkischen Armee im irakischen Kurdengebiet. Diese Einkesselung trug zu einer militärischen Schwächung der PKK bei. Doch sie zu besiegen gelang nicht.
An diese Geschichte erinnert Barzani jetzt wieder. Doch an einer türkischen Militäroperation gegen die PKK würden sich seine Kämpfer diesmal sicher nicht beteiligen: "Mein Auftrag ist es, einen bewaffneten Konflikt innerhalb der kurdischen Freiheitsbewegung zu verhindern." Barzani ist davon überzeugt, dass die PKK militärisch nicht besiegt werden könne und der Konflikt mit friedlichen Mitteln beigelegt werden müsse. Sollte die Türkei zum Dialog bereit sein, würden die irakischen Kurden sie nach Kräften unterstützen. Doch die Türkei zeige daran leider kein Interesse.
Mit Bitterkeit verzeichnet Barzani, dass die Türkei nicht dazu bereit ist, die kurdische Regionalregierung anzuerkennen, obwohl diese für die Sicherheit an der Grenze zur zuständig ist. Zwar ist die Regierung in Bagdad für Grenzfragen und Außenpolitik zuständig, doch ohne die Zustimmung der Kurden im Nordirak kann sie nichts ausrichten. Die weitreichende Autonomie ist in der Verfassung verbrieft.
"Wir sind keine Gefahr für die Türkei, aber wir lassen uns nicht drohen und erpressen", sagt Barzani. Aus Sicht seiner ist der Türkei die weitgehende Unabhängigkeit, die Iraks Kurden heute genießen, ein großes Ärgernis. "Es geht ihnen vor allem um Kurdistan", meint Barzani. Anders seien die ständigen Drohungen und Einmischungsversuche von Ankara in irakische und kurdische Angelegenheiten wie in den Streit um den Status der Erdölstadt Kirkuk nicht zu verstehen. Zudem wollten die Generäle die gemäßigt-islamistische Regierung Tayyip Erdogans unter Druck setzen. Darum sei auch das Krisengespräch am Freitag zwischen der irakischen und der türkischen Regierung gescheitert. So habe die Türkei den irakischen Vorschlag abgelehnt, die Grenzpatrouillen zu verstärken.
Dabei befinde sich die Mehrheit der PKK-Guerilleros in der Türkei. Zudem sei nicht die PKK, sondern die Türkei für die jüngste Eskalation verantwortlich. Die PKK habe sich an ihren Waffenstillstand gehalten, den sie vor einem Jahr auf Drängen der irakisch-kurdischen Führung erklärt hatte. Die gegenwärtige Aggression sei von der Türkei ausgegangen. Eine Überstellung der PKK-Führung, die die Türkei fordert, schließt Barzani ebenso aus wie der irakische Staatspräsident Talabani, der die Patriotische Union Kurdistans anführt.
Allerdings fordert Barzani von der PKK, dass sie unverzüglich die acht verschleppten türkischen Soldaten freilässt. Zudem müsse sie sich an ihren Waffenstillstand halten und auf Angriffe verzichten.
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