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Präsident Reagans merkwürdiger Humor

Reagan „scherzt“ über den Demokraten Dukakis: „Ich will nicht auf einem Invaliden herumhacken“  ■  Von Stefan Schaaf

Washington (taz) - Mit dramatischen Gesten versucht Ronald Reagan in den letzten Tagen in den Präsidentschaftswahlkampf einzugreifen. Im Presseraum des Weißen Hauses wurde er am Mittwoch nach dem demokratischen Kandidaten Mike Dukakis gefragt. Ob dieser als Kandidat nicht seine medizinischen Unterlagen freigeben müsse, wollte ein Reporter von Reagan wissen, dessen Eingeweide fast häufiger im Fernsehen zur Schau gestellt werden als sein Gesicht.

Die Frage bezog sich auf einen Zeitungsbericht über „Gerüchte“, Dukakis habe sich zweimal wegen Depressionen in psychiatrische Behandlung begeben. Das Thema hat Brisanz. Immerhin mußte der demokratische Senator Thomas Eagleton 1972 seine Kandidatur um die Vizepräsidentschaft niederlegen, als bekannt wurde, daß er sich psychiatrisch behandeln ließ.

„Nun“, so Reagan am Mittwoch vor den surrenden Kameras, „ich will nicht auf einem Invaliden herumhacken.“ Während alle im Presseraum nach Luft schnappen, buhen und lachen, ist der greise Präsident, immer noch grinsend, schon verschwunden. Eine halbe Stunde später hat Reagans Hirn endlich seine Zunge eingeholt, nicht jedoch seine unglaubliche Äußerung. Er habe „funny“ sein wollen, aber es habe nicht geklappt, sagte er mit dem Gesichtsausdruck eines Fünfjährigen, der mit vollgeschissener Hose erwischt worden ist. Doch den Rest des Tages redet alles nur noch über Reagan, nicht über Dukakis. Reagans Vize Bush dürfte an diesem Mittwoch eine Liedzeile nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein: „Wer braucht schon Feinde, wenn er solche Freunde hat?“

Dukakis nannte Reagans Bemerkung einen „gelegentlichen Versprecher“ und bezeichnete sich selbst als „sehr gesunden Burschen“. Seine Berater nahmen die Geschichte allerdings ernster. Dr.Gerlad Plotkin, seit 1971 Dukakis‘ Hausarzt, veröffentlichte eine Erklärung, in der er dem Kandidaten eine gute Gesundheit bescheinigt. Dukakis habe „keine psychologischen Symptome, Beschwerden oder Behandlungen“ gehabt. Der Forderung nach der umfassenden Veröffentlichung seiner medizinischen Geschichte ist Dukakis allerdings noch nicht nachgekommen. Ultrakonservative Republikaner, die die Gerüchte in die Welt gesetzt haben, werden sie deshalb weiter schüren.

Ihnen zufolge soll Dukakis sich nach dem Tod seines älteren Bruders und nach seiner Niederlage bei den Gouverneurswahlen in Massachusetts 1978 wegen Depressionen in psychiatrische Behandlung begeben haben.

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